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Der Siegelring - Roman

Titel: Der Siegelring - Roman
Autoren: Andrea Schacht
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sie, laut seinen Namen rufend, auf ihn zu.
    Ein römischer Legionär sah die wilde Barbarin wie eine Furie auf seinen Kommandeur zujagen, spannte seinen Bogen, und sirrend flog der Pfeil durch die Luft. Er traf Annik in die Brust, gerade als Falco sie bemerkte. Ein weiterer traf den Rappen, und er bäumte sich auf und brach in die Knie. Verwundert spürte Annik den Aufschlag des Pfeils, ließ die Zügel los und stürzte auf den schlammigen Boden.
    Entsetzt brüllte Falco einen Befehl, der sofort weitergegeben wurde. Dann sprang er von seinem Pferd und eilte zu Annik, die zusammengekrümmt auf der Erde lag. Er kniete bei ihr nieder und drehte sie vorsichtig um. Mit einem Gefühl der absoluten Trostlosigkeit betrachtete er den Pfeilschaft, der unterhalb ihres Herzens aus ihrem Körper ragte.
    »Annik!«, sagte er. »Das darf nicht wahr sein.«
    Er warf seinen Umhang ab und rollte ihn zu einem Polster, um es unter ihren Kopf zu schieben.
    Das Kampfgeschrei war ruhiger geworden, denn er hatte den Befehl zum Einhalten gegeben, doch die Rauchschwaden umhüllten das Dorf nun gänzlich. Trommelnder Hufschlag ertönte nochmals, und neben ihm erschien plötzlich Valerius Corvus, der von seinem Pferd sprang.
    »Falco!«, rief er, und dann erkannte er, was geschehen war.
    Fassungslos kniete er nieder und beugte sich über die stumme Gestalt.
    »Annik, Annik, mein Herz.«
    Ihre Augenlider flatterten, und verwirrt blinzelte sie.
»Valerius!«, flüsterte sie angestrengt. »Sie waren es nicht. Ich habe Martius umgebracht.«
    »Sei still, Annik.«
    »Nein. Glaub mir, ich war es. Nicht Cullen und auch nicht Rosina.«
    Er streichelte ihr von Ruß und Lehm verschmiertes Gesicht, zu erschüttert, um irgendwas zu sagen. Ein verlorenes Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel.
    »Halt mich fest, Dominus. Mir ist so kalt.«
    Vorsichtig, um sie so wenig zu bewegen wie möglich, schob Valerius Corvus seinen Arm unter sie und zog sie mit dem Rücken an seine Brust. Ihr Kopf fiel an seine Schulter, die wirren Haare fielen über seinen Arm.
    »Bleib bei Rosina und Gratia. Mein Weg führt jetzt in die andere Welt.«
    »Annik, wenn das wahr ist, dann werden wir uns dort wieder sehen«, sagte Valerius mit rauer Stimme in ihr Ohr.
    Sie schwieg, und ihr Atem wurde flacher und flacher. Das Blut verströmte in ihrem Körper mit jedem Schlag ihres verwundeten Herzens. Doch noch einmal hauchte sie: »In deinen Armen will ich schlafen.«
    »Ja, Kind. Ich halte dich.«
    »Ich liebe dich, Dominus. Über alle Zeiten und Welten hinaus.«
    Es wurde dunkel für Annik, und das Letzte, was sie hörte, waren die verzweifelten Worte von Valerius, dem Raben: »Meine Geliebte, mein Herz, mein Kind …«
     
    Nicht sehr weit von Falco, Valerius und der sterbenden Annik entfernt stand Cullen, der Barde. Er hatte beobachtet, um zu berichten, um in Worte und Verse zu fassen, um der Nachwelt Kunde zu geben von den Taten der Menschen. Und nun musste er sehen, wie eine junge
Frau, die er verehrte, die er bewunderte und von der er einst gehofft hatte, dass sie seine Liebe erwidern möge, einen sinnlosen Opfertod starb.
    Erstmals in seinem Leben besann sich Cullen, der Barde, der vernichtenden Macht des Wortes, und er trat aus dem Schatten der schützenden Eiche. Laut und mit überall vernehmlicher Stimme verfluchte er Ursa, seine Mutter, über alle Zeiten und in allen Welten, bis dass der Kreis sich geschlossen habe.
    Dann aber verschwand Martius’ Mörder im Dunkel der Wälder.

Gegenwart

33. Kapitel
    Ein Erlebnis
    Cilly schniefte und wischte sich mit der linken Hand die Tränen vom Gesicht, während sie mit der rechten die letzten Buchstaben tippte.
    »Nein!«, stöhnte sie. »Nein, das glaube ich nicht. Anita! Rose!«
    Ich sah das Mädchen, das da über die Tastatur gebeugt saß, mitleidig an.
    »Cilly, es ist eine Geschichte. Wir haben nur eine Geschichte erzählt!«
    »Aber sie haben doch gelebt. Es war doch so!? Du hast doch den Ring und alles.«
    Meine Schwester Rose reichte Cilly ein frisches Päckchen Taschentücher. Auch sie sah aus, als ob sie den Tränen nahe war.
    »Diesen Schluss kannte ich nicht, Anita. Hat Julian es wirklich so enden lassen?«
    »Ja, Rose, das hat er. Ich kann mich nur zu gut daran erinnern. Ich war ungefähr so alt wie Cilly, eventuell ein Jahr älter. Es war an einem Tag, an dem ich mich furchtbar mit Uschi gestritten hatte. Worüber, das weiß ich gar nicht mehr. Nur dass die Welt für mich tintenschwarz war, ich mich hässlich und ungeliebt
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