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Der Sieg nach dem Krieg

Der Sieg nach dem Krieg

Titel: Der Sieg nach dem Krieg
Autoren: Oliver Hassencamp
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würden es, gewiß nicht ohne materielle Hilfe, letztendlich aber doch aus uns selbst heraus schaffen.
    Diese Zuversicht überstrahlte den religiösen Rahmen. Niemand konnte sich ihr entziehen. Auch nicht die zur Überwachung der Feier sehr zahlreich erschienenen Amerikaner, die voll Staunen begriffen, daß sie’s nicht nur mit Barbaren, vielmehr auch mit einem alten Kulturvolk zu tun hatten.

Amtlich Ernährungsberechtigt

    E ntlassungen — im Zivildasein gemeinhin als Unglück betrachtet — stellen bei Strafgefangenen und Militärpersonen das Ziel aller Wünsche dar. Entsprechend wertvoll ist das Papier, das die wiedergewonnene Freiheit bescheinigt. Von ihm hängt die weitere Existenz ab. Der Entlassungsschein von der großdeutschen Wehrmacht war ausschlaggebend für den Bezug von Lebensmittelkarten. Ohne ihn hing man in der Luft, wie ein gewisser Joachim, genannt Jo. Im Frühsommer 1945 stand er, dünn und blond, mit einem Kameraden auf dem Münchner Marienplatz. Die Alliierten hatten ihn mit seinem Jagdflugzeug abgeschossen. Obwohl beim Absturz heilgeblieben, galt er ohne Entlassungsschein als nicht auf dem Boden an gekommen. Die Tatsache, daß man lebte, war nicht ausreichend, um leben zu dürfen; das schlagende Herz genügte nicht zur vorschriftsmäßigen Existenz.
    Mit dieser Logik vertraut, entschlossen sich die beiden, ihren Hunger durch Einbruch zu stillen. Nicht in der nächsten Metzgerei, sondern im Rathaus. Wie sie gehört hatten, sollte es dort eine amerikanische Dienststelle geben, die über alle wichtigen Formulare verfügte. Kurz vor Mittag betraten sie das Amtsgebäude. Ein Zerberus stellte ihnen Passierscheine für angebliche Meldung eines Schadens in der Stromversorgung aus. Einmal drinnen, fragten sie sich zu den Amerikanern durch und schlossen sich in die nächstgelegene Toilette ein.
    Laut und fröhlich begaben sich die Sieger alsbald zum Mittagstisch, und die beiden verließen nach kurzer Sicherheitspause ihr Versteck. Ungesehen kamen sie zu der Schatzkammer. Eigentlich nur, um aus dem Geräusch Rückschlüsse auf die Stärke des Schlosses ziehen zu können, drückten sie die Klinke und wären fast ins Zimmer gefallen. Im Umgang mit Besiegten, ihren Wünschen und Bedürfnissen noch ungeübt, hatten die Amerikaner nicht einmal abgeschlossen. Trotzdem schien Eile angebracht. Ohne sich mit Lesen aufzuhalten, nahmen die Eindringlinge aus sämtlichen Regalen und Schubladen Formulare, jeweils mehrere Blätter, stopften sie unter ihre auf ähnliche Weise beschafften Ziviljacken, drückten alle erreichbaren Stempel auf ein leeres Blatt, um den richtigen später mit einem hartgekochten Ei zu übertragen, und gelangten ungesehen wieder auf den Korridor. Der Zerberus riß vom Passierschein die größere Hälfte ab, unbehelligt konnten sie das Rathaus verlassen.
    Die Landung auf der Erde schien geglückt. Noch ohne Hungergefühle sichteten sie in einer stillen Ruine die Beute. So gut er konnte, übersetzte Jo Kleinlichkeiten aus dem Englischen. Sein Gesicht wurde länger. Sie hatten vor allem Formulare zur Anforderung von Ersatzteilen für Militärfahrzeuge und Schadensmeldungen an Hinterachsen und Motoren erwischt. Ihre Mägen quittierten die Enttäuschung mit lautem Protest. Doch ein alter Freund, bei dem sie untergekommen waren, wußte Rat.
    »Macht eure Entlassungsscheine doch selber. Ich koche inzwischen ein Ei, bevor der Strom wieder abgeschaltet wird .«
    Er wies auf seine alte Schreibmaschine, empfahl, nicht ganz sauberes, viel gefälteltes Papier zu nehmen und diagonal über den Text, sozusagen als Bestätigung dafür, daß die Amerikaner den Schein anerkannt hatten, mit der Hand in möglichst amerikanischer Schrift den Zusatz zu kritzeln: »This boy is okay !«
    Vermerke dieser Art seien nicht erfunden und hätten manchem weitergeholfen. Das leuchtete den beiden ein. Sofort machten sie sich an die Fälschung. Jo wurde euphorisch. Warum nicht auch die Abschnitte der Passierscheine aus dem Rathaus verwenden? Sie sahen so schön amtlich aus. Er spannte sie in die Maschine und tippte den Vermerk: Gut für sechs Kilo Brot. Sein Kamerad übertrug einen amerikanischen Stempel und krönte ihn mit einer Unterschrift. Nun galt es, die Produkte ihrer Fälscherkunst zu testen. Während der alte Freund sich mit ihren amerikanischen Ersatzteilformularen auf den Schwarzen Markt begab, um zu sehen, ob dort etwas damit zu machen sei, legten die beiden ihre Passierscheine, gewissermaßen als Versuchsballon, in
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