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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Autoren: Lilach Mer
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ihren Wimpern. Und dort, wo sie auf ihre Wangen fielen, breitete sich Eiseskälte aus.

    »Ich weiß es doch …« Die Mutter wiederholte es immer noch. Aber ihr Schreien war zu einem Flehen verebbt, und ohne wirklich zu verstehen, welcher Kampf im Esszimmer ausgetragen wurde, wusste Mina, dass die Mutter ihn verloren hatte. Die ruhige Stimme des Doktors schlang sich begütigend um die letzten, nur noch gehauchten Worte.
    »Ein Mutterherz liebt manchmal zu sehr, um klar sehen zu können. Diese Dinge erfordern einen kühlen, männlichen Verstand. Sie müssen uns vertrauen, meine Gnädigste. Mir und Ihrem werten Gatten. Wie schon einmal. Wir werden das Richtige zu tun wissen.«
    »Du weißt, meine Liebe«, die Stimme des Vaters klang gepresst, »es ist nun einmal das Leiden in deiner Familie. Wenn du an deine liebe Schwester Elisabeth denkst … Nicht, dass ich dir nur den geringsten Vorwurf machen würde! Aber wir müssen den Dingen ins Auge sehen. Und wenn Mina … Nun, sie ist ein Mädchen. Sie ist formbarer, fügsamer, als Jungen sind. Vielleicht …«, er zögerte, wie hoffnungsvoll, »… vielleicht müssen wir sie nicht einmal fortgeben. Wenn der gute Doktor bereit ist, sich um sie zu kümmern?«
    »Nun«, sagte der Doktor in das Aufschluchzen der Mutter hinein, das nur noch ganz schwach zu hören war. »Ich bin selbstredend bereit, mich in jeder nur erdenklichen Weise zu kümmern. Aber eine gründliche Untersuchung wird erforderlich sein. In einer geeigneten Institution. Bald.«
    »Aber, Dr. Rädin«, der Vater sprach hastig, »ihre Konfirmation findet in einigen Tagen statt …«
    »Natürlich, natürlich. Und ich danke auch noch einmal ergebenst für die Einladung! Wir werden das große Ereignis selbstverständlich abwarten. Danach … bald. Sie haben
beim letzten Mal zu lange gewartet; das wissen Sie, Herr Ranzau. Machen Sie denselben Fehler jetzt nicht noch einmal.«
    »Bitte, Herr Doktor«, es war ein letztes, ein allerletztes hoffnungsloses Aufbäumen, und die Stimme der Mutter brach bei jeder Silbe. »Meine Kleinen … Wäre es nicht … nicht vielleicht möglich, dass wir sie … nur einmal … Wenn es ihnen doch so schlechtgeht …«
    »Wir werden darüber nachdenken«, sagte der Doktor nachsichtig und mit so eindeutiger, überwältigender Unehrlichkeit, dass Mina nach Luft rang. »Wir werden sehen. Fassen Sie sich, Gnädigste. Der Herrgott wird unsere Wilhelmina in ein paar Tagen ganz besonders unter seinen Schutz nehmen; beten Sie, dass die sanften Flügel seiner Englein den Verstand des lieben Mädchens ganz unmerklich zur Ruhe bringen. Es ist im Augenblick alles, was Sie tun können.«
     
    Die Mamsell fand Mina auf den Knien im Flur, mit hängendem Kopf und geschwollenen Augen.
    »Herrje, mein Fräulein, sind Sie gestürzt? Haben Sie sich wehgetan? Diese fürchterlichen glatten Fliesen! Die Schneiderin wartet im Damenzimmer mit dem Kleid für Ihren großen Tag. Können Sie aufstehen?«
    Ihre Hand war warm und hart an Minas Oberarm, als sie ihr half, sich aufzurichten. Die Beine schmerzten bis hinunter zu den Knöcheln. Aber der Schmerz war seltsam weich und dumpf, wie in Watte gehüllt. Sie ließ sich von Mamsells Stärke hochziehen, machte einen Schritt, dann noch einen, mechanisch, wie die Puppe, die der Vater ihr einmal zum Geburtstag geschenkt hatte. Vielleicht ragte auch ihr ein
Schlüssel aus dem Rücken … Es war gut, dass alles so fern war, die Gefühle, die Gedanken, denn sonst hätte sie vielleicht angefangen, wild zu lachen bei dieser Vorstellung. So musste sie sich nicht einmal auf die Lippen beißen. Mamsell führte sie behutsam den Flur hinunter, und die Beine waren ihr so steif geworden, dass sie sogar hinkte.
    Der Kater war verschwunden.

    Sie war wie ein böser Traum, die Stunde im Damenzimmer. Ein kalter, fremder Traum, ohne Anfang und Ende. Dinge geschahen um Mina herum, ohne sie zu berühren. Worte streiften sie, ohne sie wirklich zu meinen, und sie antwortete, reagierte, ohne mehr als nur Bruchstücke zu verstehen. Ihre Bewegungen fühlten sich langsam an und schwer; das Ertrinken mochte so sein, in dem grünen Forellenteich hinter dem Haus, mit vollgesogenen Kleidern und eiskalten Fingern. Und doch streckte Mina gehorsam den Arm, wenn die Schneiderin darum bat; drehte sich auf dem kleinen hölzernen Podest so herum und so herum, beugte den Nacken, hob das Kinn. Die Spielzeugpuppe mit dem Metallschlüssel im Rücken …
    Sie spürte die Stecknadeln nicht, die die kleine,
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