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Der Sichelmoerder von Zons

Der Sichelmoerder von Zons

Titel: Der Sichelmoerder von Zons
Autoren: Catherine Shepherd
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zusammengefallenen Wehrturm bestaunten, hatte den Graben überhaupt bemerkt. Sie alle standen mit dem Rücken zu Bastian gewandt, hielten ihre Köpfe nach oben gereckt und die Augen starr auf den eingestürzten Turm gerichtet. Bastian konnte seinen besten Freund Wernhart von der Stadtwache erkennen. Wernhart stand neben dem Arzt, Josef Hesemann, der ihm ebenfalls sehr vertraut war. Mit Wernhart hatte Bastian einige eiskalte Winternächte frierend auf der Lauer gelegen, als sie vor ein paar Monaten gemeinsam auf der Jagd nach dem Puzzlemörder waren. Bastian selbst war jünger als Wernhart und noch nicht so lange bei der Stadtwache, wie sein Freund. Dafür trug er in seinem jungen Alter bereits die volle Verantwortung für kriminelles Gesindel sowie für Mord und Betrug in der Stadt Zons. Dies hatte Bastian insbesondere Pfarrer Johannes zu verdanken, der ihn, obwohl er der jüngste Sohn des Zonser Müllers war, von frühester Kindheit an im Lesen und Schreiben gelehrt und ihn so zu dem klugen und rechtschaffenden jungen Mann erzogen hatte, der er heute war. Sicher hätte Bastian sich aufgrund seiner großen und kräftigen Gestalt auch hervorragend als Müller geeignet, doch diese Aufgabe war seinem ältesten Bruder Heinrich zuteil geworden, der Zons und die gesamte Umgebung mit fein gemahlenem Mehl versorgte.
    „Wernhart“, rief Bastian in die Menschenansammlung hinein. „Was ist passiert?“
    Wernhart drehte sich überrascht um. Seine blauen Augen blitzten kurz auf, als er Bastian erkannte.
    „Schau selbst, Bastian, der Turm ist einfach zusammengebrochen.“
    „Sind noch andere Häuser betroffen?“
    „Nein. Bis auf diesen Turm ist alles unversehrt, noch nicht einmal die Dachschindeln vom Haus des alten Jacob sind hinabgestürzt.“
    Jacobs Haus war das Ärmlichste in ganz Zons. Seit dem letzten Erdbeben hatte die Familie das Dach nur mühsam zusammenschustern können. Es sah aus wie ein Flickenteppich. Da sie sich keine neuen Dachschindeln leisten konnten, lugten zwischen den verbliebenen Schindeln Holzstücke und Stroh hervor. Nur so hatten sie es geschafft, das Dach notdürftig abzudichten.
    Kein Wunder, dass die Leute alle vor diesem Turm standen. Es war das einzige Bauwerk, welches beschädigt war. Das Vibrieren der Erde und den Einsturz des Turmes hatte offensichtlich nur ein geringer Teil der Zonser Bevölkerung mitbekommen. Sonst wäre die Menschenmenge hier sicherlich viel größer gewesen.

II
    Gegenwart
     
     
    Olivers Herz klopfte wie verrückt. Seine Hände waren von einer leichten, kühlen Schweißschicht bedeckt und klebten an dem Papier fest, in das ein aus wunderschönen, dunkelroten, langstieligen Rosen bestehender Blumenstrauß eingewickelt war. Er leckte sich nervös über seine trockenen Lippen. Ob Emily wohl kommen würde? Das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, war er viel zu spät zu ihrer Verabredung erschienen. Der gemeinsame Abend fand daraufhin in einer eigentümlich gereizten Stimmung statt und Oliver spürte, wie ihre Enttäuschung sie von ihm wegtrieb. Auf keinen Fall wollte er, dass sie sich von ihm entfernte. Nicht jetzt, wo er es endlich geschafft hatte, Nähe zu ihr aufzubauen.
    Deshalb hatte er sich für den Sonntagnachmittag etwas ganz besonders Romantisches ausgedacht. Zumindest glaubte er, dass Frauen es romantisch finden würden. Er hatte sie in den Stadtpark von Neuss eingeladen und sie gebeten, ihn an der großen alten Kastanie am Ende des Parks zu treffen. Genau dort, wo sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. Noch immer lief ein prickelnder Schauer über seinen Körper, wenn er sich daran erinnerte, wie er ihre wunderschönen Lippen berührt hatte. Sie waren weich und voll und nach der ersten vorsichtigen Annäherung war aus einem sanften Kuss ein leidenschaftlicher schier ewig dauernder Zungenkuss geworden, der ein Verlangen in ihm weckte, das er noch nie zuvor für eine Frau empfunden hatte. Doch so leidenschaftlich wie ihre Liebe sein konnte, so intensiv war auch ihre Wut auf ihn gewesen, als er sie bei ihrer letzten Verabredung fast zwei Stunden warten ließ, weil sein Chef ihn nicht eher aus dem Dienst entlassen wollte.
    Hans Steuermark war der Leiter des Kriminalkommissariats der Kreispolizeibehörde im Rhein-Kreis Neuss und er war dafür bekannt, dass er hartnäckig bei der Sache blieb. Er ordnete stets alles der Lösung eines Falls unter. Dies galt sowohl für sein eigenes Privatleben, als auch für das seiner Mitarbeiter. Oliver, der noch relativ neu
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