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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Autoren: Robert L Stevenson
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Gott!« - wieder und wieder; denn dort vor mir, vor meinen Augen -bleich und zitternd und halb ohnmächtig und mit den Händen vor sich hertastend, wie ein vom Tode Auferstandener -, dort stand - Henry Jekyll. Was er mir in der nächsten Stunde erzählte, vermag ich nicht niederzuschreiben. Ich sah, was ich sah, ich hörte, was ich hörte, und bei alledem ward meine Seele krank; und dennoch, jetzt, da dieser Anblick meinen Augen entschwunden ist, jetzt frage ich mich: Kann ich es glauben? Und ich finde keine Antwort. Mein Lebensnerv ist in seinen Wurzeln erschüttert, der Schlaf hat mich verlassen, tödlicher Schrecken sitzt mir zur Seite, jede Stunde, Tag und Nacht. Ich fühle, meine Tage sind gezählt, ich muß sterben; und dennoch, ich werde ungläubig sterben. An die moralische Verworfenheit, die jener Mensch mir enthüllte, obwohl mit Tränen der Reue, kann ich selbst in der Erinnerung nicht ohne neues Grauen denken. Nur eines will ich sagen, Utterson, und das (wenn Du Dich dazu zwingen kannst, es zu glauben) ist mehr als genug: Das Geschöpf, das jene Nacht sich in mein Haus schlich, war nach Jekylls eigenem Bekenntnis bekannt unter dem Namen Hyde und wurde in jedem Winkel unseres Landes gesucht als Mörder Carews.
    HASTIE LANYON.

10. Henry Jekylls ausführliche Erklärung des Falls
    Ich wurde im Jahre 18** geboren, von der Natur mit ausgezeichneten Anlagen beschenkt; ich war fleißig und legte Wert auf die Achtung der Klugen und Guten unter meinen Mitmenschen. All das hätte, wie man wohl annehmen konnte, eine Bürgschaft für eine ehrenvolle und glänzende Zukunft geboten. Tatsächlich bestand der schlimmste meinerFehler in einer gewissen unbezähmbaren Neigung zur Fröhlichkeit, eine Veranlagung, die für viele das Glück bedeutet hätte. Ich aber fand es schwer, diese Neigung mit meinen hochfliegenden Wünschen, mein Haupt stolz zu tragen und in der Öffentlichkeit eine mehr als gewöhnliche feierliche Miene zu zeigen, in Einklang zu bringen. So kam es, daß ich meine Vergnügungen verheimlichte, und als ich die Jahre der Selbstbesinnung erreichte, anfing, mich umzuschauen und mir Rechenschaft über meinen Fortschritt und meine Stellung in der Welt abzulegen, stand ich bereits einer tiefen Zwiespältigkeit in meinem Dasein gegenüber. Manch einer hätte sich wohl sogar noch solcher Regelwidrigkeiten, wie ich sie mir zuschulden kommen ließ, gerühmt, doch bei den hohen Zielen, die ich mir gesteckt hatte, betrachtete und verbarg ich sie mit einem fast krankhaften Gefühl der Scham. Es waren also eher die hohen Forderungen meines Strebens als eine besondere als Erbe eines großen Vermögens Untiefe meiner Fehler, die mich zu dem machten, was ich war; und die Trennungslinie, die in meinem Innern jene Sphären von Gut und Böse schied, die des Menschen Doppelnatur trennen und verbinden, war bei mir sogar noch tiefer gezogen als bei der Mehrzahl der Menschen. Angesichts dieser Lage wurde ich dazu gedrängt, tief und unerbittlich über jenes harte Lebensgesetz nachzudenken, das einerseits die Wurzel der Religion ist, andererseits eine der stärksten Quellen des Elends bildet. Obwohl so im Grunde ein Doppelwesen, war ich doch in keiner Hinsicht ein Heuchler. Beide Seiten meines Wesens waren mir tödlich ernst. Es entsprach nicht weniger meinem wahren Ich, wenn ich alle Hemmungen beiseite warf und mich in Schande tauchte, als wenn ich in der Helle des Tages mich um den Fortschritt der Wissenschaft oder um Milderung von Sorgen und Leiden mühte. Es traf sich, daß die Richtung meiner wissenschaftlichen Forschungen, die ganz auf Mystik und Übersinnliches zielten, diese Erkenntnis des ewigen Kampfes in meinem Innern stärkten und erleuchteten. Mit jedem Tage und von beiden Seiten meiner Geistigkeit, der moralischen und der intellektuellen, näherte ich mich so ständig jener Wahrheit, durch deren teilweise Entdeckung ich zu einem so fürchterlichen Schiffbruch verdammt worden bin: daß der Mensch in Wahrheit nicht eins, sondern wahrlich zwei ist. Ich sage zwei, weil der Status meiner eigenen Erkenntnis nicht über diesen Punkt hinausgeht. Andere werden folgen, andere werden mich auf dieser gleichen Linie überflügeln. Ja, ich wage anzunehmen, daß die Menschheit sich schließlich bewußt werden wird eines ganzen Gemeinwesens vielfältiger, inkongruenter und unabhängiger Existenzen. Ich für meinen Teil, nach der Natur meines Lebens, schritt unfehlbar in einer Richtung vorwärts, und nur in einer Richtung. Auf dem
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