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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao
Autoren: Pauline Gedge
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Monaten würde Heby achte Jahre alt, und er war so gut in der Schule, dass man überlegte, ihn mit Kers Unterstützung in eine größere Stadt zu schicken, nach Iunu oder in den Ptah-Tempel von Mennofer. Huy hörte teilnahmslos zu. Die Verbitterung über seinen Onkel war längst vergangen. Weder Ker noch Huys Vater kamen gegen ihre Feigheit an. Für seinen Onkel hegte Huy keine Gefühle mehr, aber seinen Vater und insbesondere seine Mutter liebte er nach wie vor. Der Hauptfluch seiner Armut war, dass er es sich nicht leisten konnte, seinen Eltern ein angemessenes Grab zu bieten. Er beobachtete Heby, lauschte seinen ziemlich altklugen Gesprächen und hoffte, dass sein Bruder später einmal dem Paar, dem sie ihr Leben verdankten, dieses heiligste und kostbarste Geschenk machen würde.
    Im Choiak erreichte der Fluss den höchsten Stand. Das war der vierte Monat des Jahres, und er begann mit dem Hathor-Fest. Als das Wasser dann zurückging, wurde an den letzten zehn Tagen jeweils ein anderes Fest gefeiert – das der Aufbahrung des Leichnams von Osiris, das der trauernden Göttinnen, das des Osiris selbst, das des Vaters der Palmen – und der erste Tag von Tybi war der Krönung von Osiris gewidmet. Dies waren wichtige Feiern, und sie verschafften Huy und Ischat eine Atempause. Obwohl Methen mehrfach Andeutungen in die Richtung machte, war Huy nicht in den Tempel gegangen, um Chenti-Cheti für sein Leben zu danken. Es war klar, dass er es noch nicht geschafft hatte, die Bitterkeit den Göttern gegenüber völlig aus seinem Ka zu vertreiben. Seine Mitbürger erschienen ihm alle selbstgefällig, egal ob arm oder reich, ihr Leben verlief nach Plan, ihr Glaube war fest und unerschütterlich. Oft beneidete er sie. Keine Seite seines Lebens besaß eine zufriedenstellende Rundheit oder Gewissheit. Er war ein erwachsener Mann, doch ohne eigenes Verschulden jungfräulich. Er nährte eine unerwiderte Liebe zu einer Frau, die nur mit ihm gespielt hatte. In seinem Gedächtnis waren die Worte eines Zauberbuchs, das er nicht zu entziffern vermochte. Seine Arbeit war nicht das Resultat eigener Anstrengungen, sondern das einer flüchtigen Laune der Götter. Oder des einen Gottes. Die einzig fassbare Gewissheit war sein Tod, das Ende des kurzen Zyklus seines jungen Lebens. Der war abgeschlossen. Doch dann war er vor sieben Jahren in die Welt der Sterblichen zurückgeworfen worden – zu einem Zweck, der sich sicher noch nicht erfüllt hatte. Alles war unvollendet, ungewiss und jenseits seiner Kontrolle. Nein, dachte er, als er in seinem Bett lag, während sich die Stadt in Gebeten und Festessen verausgabte, ich gehorche, und das reicht.
    Am letzten Tag von Tybi, dem Tag nach dem Fest des Erscheinens der Wiese, an dem die Wiederkehr der Erde und der Beginn der Aussaat gefeiert wurde, saß Huy vor seinem Haus, einen Becher Bier neben sich auf dem Boden, und freute sich am Spiel der Abendsonne auf den niedrigen Häusern gegenüber. Ihre Bewohner saßen auch vor den offenen Türen, würfelten auf dem staubigen Boden, beugten sich über Spielbretter oder lehnten träge an den Mauern und plauderten mit Freunden. Nackte Kinder übten sich mitten auf der Straße im Ringkampf, und ein angebundener Esel schaffte es, einem vorbeilaufenden Hund einen Tritt zu verpassen, sodass der in heiseres Protestgebell ausbrach. Aus dem Bierhaus drang eine Kakophonie fröhlicher Stimmen in die klare Luft. Endlich einmal war Huy zufrieden. Ischats Liste war abgearbeitet. An diesem Tag und dem davor war kein Bittsteller gekommen. Sein Kopf war klar und schmerzfrei, Huy fühlte sich ausgeruht, er hatte gut gegessen, und eine ruhige Nacht lag vor ihm. Ischat hatte die Gelegenheit genutzt, um das Bettzeug und die Kleider im Fluss zu waschen. Er hatte angeboten, ihr zu helfen, aber sie hatte abgelehnt, war nach nebenan gegangen und mit dem Bier zurückgekommen, ehe sie das Wäschebündel schulterte und sich mit einem Topf Soda auf den Weg machte. Sie war schon eine ganze Weile weg, Huy hatte an seinem Bier genippt, es aber nicht wirklich gemocht. Sein Blick ging immer öfter zu der Ecke, wo sie erscheinen musste.
    Das Abendlicht glitt über die schäbigen Mauern und überzog sie mit einem warmen Goldglanz, der allmählich röter wurde. Die Kinder wurden hereingerufen, und Huy überlegte, ob er auch ins Haus gehen und die Lampe anzünden sollte, als die Bewohner der Straße plötzlich still wurden. Alle Blicke richteten sich auf die Straßenecke. Huy schaute auch
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