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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Schließlich blieb sie stehen, lehnte das Rad gegen das Holzgatter der Wiese, legte die Hände trichtergleich vor ihren Mund und rief nach dem Kind.
    «Isabelle ... Isa ...»
    Da tauchte ein Kopf auf, aus dem Gras. Die schwarzen Haare von Jon Rix, sein blasses, freundliches, fast mädchenhaft zartes Jungengesicht. Er drehte sich nach hinten um. Dann sah Johanna Kröger auch Isabelle, die flink aufstand und zu ihr gelaufen kam. Ein schmales dreizehnjähriges Mädchen, hoch aufgeschossen, mit einem klugen, schönen Gesicht, dessen blaue, wache, fast freche Augen jedem als erstes auffielen. Ihre schulterlangen weißblonden Haare – dick wie Pferdehaare, sagte Johanna Kröger oft zu Ida Corthen, deine Tochter hat Pferdehaare, das glückliche Kind –, ihre Haare flogen durch die Luft, während sie heraneilte. Wie ein Fohlen, dachte Johanna Kröger, springt ins Feld, weiß nichts von der Welt.
    Jon erhob sich und kam auch heran.
    «Was ist denn?» fragte Isabelle atemlos.
    «Du sollst nach Hause kommen.»
    «Jetzt schon? Warum das denn?»
    «Deine Mutter hat mich geschickt.»
    Jon hatte die beiden erreicht. Die Kinder standen hinter dem Holzgatter, Johanna Kröger davor. Sie ließ die Lenkradstange los, balancierte den Sattel dabei so vor ihrem Bauch, daß ihr Rad nicht umfiel, und knotete das Kopftuch auf.
    «Tag, Frau Krö ... Frau ... Kröger», sagte Jon höflich.
    Er war der höflichste Junge, den sie kannte. Eine Höflichkeit, wie sie in diese rauhe Gegend und erst recht zu Kindern nicht paßte. Eine Höflichkeit, die nur Menschen mit Bildung zu eigen war, dem Pastor vielleicht, dem Bürgermeister von Albershude, den Städtern, die sich manchmal hierher verirrten; Leuten eben, die über den Luxus freier Zeit verfügten, viel Zeit, zuviel Zeit zum Nachdenken. Typisch für Menschen wie diesen Lehrer Rix, der ganz blaß um die Nase war, weil er sie so oft in die Bücher steckte. Ein seltsamer Mann, mit seinen knapp vierzig Jahren schon fast kahl, die wenigen Haare grau und im dürren Kranz vom Kopf wegspringend.
    Vor einem Jahr hatte er den Posten des Dorfschullehrers angetreten, und von Anfang an war Johanna Kröger sich sicher, daß er und seine Familie ein Geheimnis hatten. Taten immer so freundlich und aufgeräumt. Aber ihr, Johanna Kröger, konnte man kein X für ein U vormachen. Irgendwann würde sie schon noch darauf kommen, was da nicht hasenrein war. Jetzt stopfte Johanna das Kopftuch in die rechte Tasche der Kittelschürze und schüttelte ein wenig den Kopf, so als müsse sie ihr kurzgeschnittenes Haar lockern und in Konkurrenz zu Isabelle treten.
    «Tag», sagte sie zu Jon und sah dann Isabelle fest an. «Es ist was mit deinem Vater!»
    Isabelle guckte Jon an. Er schlug die Augen nieder.
    «Nu tün nich lang rum hier, Kind, sondern komm!»
    Johanna Kröger umfaßte mit festem Griff die Lenkstange. «Du kannst dich hintendrauf setzen, ich bring dich nach Hause.»
    Ihr war die Situation nicht geheuer. Was taten die beiden Kinder hier eigentlich die ganze Zeit über, Tag für Tag? Das ging nun schon seit längerem so, das hatte sie sehr wohl beobachtet, und bei Licht besehen waren sie eben keine Kinder mehr. Wenn sie eine Tochter hätte, würde sie die hier nicht stundenlang unbeaufsichtigt mit einem Klassenkameraden herumkarjuckeln lassen.
    «Also dann», sagte Isabelle und sah Jon an, als wäre es eine Frage.
    «Ja», er senkte erneut den Blick. «Tschüs!»
    Johanna Kröger setzte sich auf ihr Fahrrad und trat sofort in die Pedale, so daß Isabelle, die ein sportliches Mädchen war, mit einem Satz auf den Gepäckträger hüpfen mußte, um mitzukommen.
    Jon kletterte auf das Gatter und sah ihnen nach. Isabelle winkte und er winkte zurück. Er wußte, daß sie sich auf einen schweren Weg begeben hatte. Die beiden wurden im Gegenlicht kleiner und kleiner, er hatte das Gefühl, Isabelle würde immer zarter und zerbrechlicher und er müßte von dem Holzzaun herunterspringen, ihr nachlaufen und zur Seite stehen.
    Schon als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war ihm klar gewesen, daß dieses Mädchen etwas Besonderes war. Jon war ein schüchterner Junge. Obwohl er aus der Stadt kam, wie man hier sagte, obwohl sein Vater die kleine rote Backsteinschule am Rande des Dorfes leitete und seine Mutter Bibliothekarin war, Jon sich also etwas darauf hätte einbilden können, aufgrund seines Familienstandes und der häuslichen Situation was Besseres zu sein, fühlte er sich den anderen Kindern oft unterlegen. Sie alle
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