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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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nicht?»
    «Ja.»
    «Du bist was Liebes.» Er hob die Hand, um Isabelle zu streicheln, war aber zu schwach dazu. «Du bist meine Tochter, du bist was Besonderes. Vergiß das nie.»
    Sie schüttelte den Kopf, ohne wirklich zu verstehen, was er meinte.
    «Geh immer auf die Menschen zu, das ist das, was ich dir mit auf den Weg geben will, bleib immer schön bei der Wahrheit, dir selbst gegenüber, Kind: Ehrlichkeit und Offenheit sind nun mal das Wichtigste im Leben.»
    Er schloß kurz die Augen; als er sie wieder öffnete, blickte er seine Tochter nicht mehr an, sondern starrte ins Leere. Es war, als ob er Fieber hätte. Leise murmelte er vor sich hin:
    «‹Ich wanderte schon lange, da kamest du daher.
    Nun gingen wir zusammen. Ich sah dich nie vorher.
    Noch eine kurze Strecke – das Herz wird mir so schwer –
    Du hast noch weit zu gehen. Ich kann nicht weiter mehr.»
    Er sprach jetzt so leise, daß sie ihn kaum noch verstand. «‹Un wenn min Hanne lopen kann, so gat wie beidn spazeern ...›» Isabelle kannte all die norddeutschen Gedichte, ihr Vater hatte sie oft rezitiert. Aber jetzt klangen die Zeilen plötzlich ganz anders, und ihr Vater sah so merkwürdig aus ...
    «‹... denn seggt de Kinner alltohop ...›»
    Sie stand vorsichtig auf, so, als wollte sie ihn nicht wecken, und ging rückwärts zur Tür. In diesem Augenblick trat ihre Mutter mit Doktor Eggers ins Zimmer. Der Arzt ging sofort ans Bett, stellte seine Tasche auf den Boden, öffnete sie und suchte etwas darin. Isabelles Mutter ergriff die Hand ihrer Tochter und zog sie zu sich. «Nun geh man runter», sagte sie. «Du hast ja nun mit ihm gesprochen.»
    Isabelle wollte protestieren, aber ihre Mutter schob sie auf den Flur hinaus. «Warte unten in deinem Zimmer.» Mit diesen Worten schloß sie die Tür hinter sich.
    Verstört blieb Isabelle einen Moment am Treppenabsatz stehen, dann ging sie hinunter. Es war vollkommen still im Haus.

Kapitel 2
    Gretel Burmönken goß aus der Glasflasche einen kräftigen Schluck Spiritus in den Deckel der Tabaksdose, den sie für solche Zwecke in der Speisekammer aufbewahrt hatte. Dann wickelte sie die Vierländer Enten aus dem Pergamentpapier und legte sie neben den Deckel auf den Küchentisch. Dabei summte sie fröhlich vor sich hin. Aus dem Radio, das auf dem gemütlich brummenden Bosch-Kühlschrank stand, tönte ein Schlager, den Gretel über alles liebte und der kürzlich bei einem Festival, dem Grand Prix de la Chanson, den ersten Preis eingeheimst hatte: «Merci, chérie». Gretel nahm von der Fensterbank die Schachtel Welt-Hölzer, schüttelte sie kurz, um zu überprüfen, ob noch Streichhölzer darin waren, nahm eines heraus, entzündete es mit einem Ratschen und hielt es an den Spiritus, der sofort brannte.
    «... für die Stunden mit dir, merci ...», sang Gretel gemeinsam mit Udo Jürgens und setzte sich an den Tisch. Sie nahm eine der Enten und sengte die Reste der Federn ab, indem sie das Tier über die Flamme hielt und sorgfältig drehte und wendete.
    Die Küche der Trakenbergschen Villa, vierzig Quadratmeter groß, fast bis unter die Decke mit Delfter Kacheln gefliest, pieksauber, wie Gretel Burmönken ihr Reich gern beschrieb, und nach dem neuesten technischen Stand ausgestattet, befand sich im Souterrain des Hauses. Durch die vier halbhohen vergitterten Fenster, die über den Arbeitsflächen, dem Spülstein und dem Herd lagen, hatte man einen Blick über den Garten: die Rhododendronhecken, die das Grundstück einfaßten und die jetzt kurz vor der Blüte standen; die sanft abfallende, nach englischem Vorbild rappelkurz gehaltene Rasenfläche; den Pavillon am Ende des Abhangs und darunter, anscheinend so nah, als gehörte sie noch zum Anwesen, die Elbe. Schiffe zogen vorbei, kleine Kähne, große Pötte. Sie kamen aus fernen Welten oder eben um die Ecke, sie fuhren fort, hinaus aufs Meer, und sie trugen nicht nur ihre Fracht mit sich, sondern immer auch, so fand Gretel, ein Stück Sehnsucht.
    Sie seufzte. Sie mußte an den Weißrussen denken, an damals, die Zeit kurz vor dem Krieg in Hamburg, da war sie gerade mal zwanzig gewesen, und sie und er hatten auf einer Bank im Stadtpark gesessen, und als er seufzte, hatte sie ihn gefragt: «Warum seufzt du?» Da hatte er empört geantwortet: «Aber ich saufe doch nicht!», und sie hatte laut losprusten müssen und ihm das Wort «seufzen» erklärt, und dann hatte er auch gelacht. Jaja, lang, lang ist's her.
    Merci, chérie ...
    Gretel stand auf, wischte sich
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