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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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die Hände an ihrer Rüschenschürze ab – eine Geste, die ihr zur Gewohnheit geworden war –, und ging in die Speisekammer, in der sich Töpfe und Pfannen, Vorräte und Gewürze befanden. Sie nahm den gußeisernen Bräter heraus, das Salzglas, eine Pfeffermühle und einen Zweig von dem Thymian, der neben anderen Gartenkräutern, mit Bindfaden zum Sträußchen gebunden, an der Innenseite der Tür hing. Sie rieb die Enten mit Salz und den Thymianblättchen ein, pfefferte sie und legte sie in den Bräter. Dann goß sie eine Tasse Wasser hinzu und schaute auf die Küchenuhr, die über der Tür hing. Es war zehn Uhr morgens. Zu früh, um jetzt schon das Mittagessen aufzusetzen. Die Musiksendung war beendet. Ein Sprecher verlas Nachrichten: Zwei Starfighter waren bei einem Nato-Manöver kollidiert und in die Nordsee gestürzt, Kanzler Erhard hatte sich zum Bundeshaushalt geäußert, der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß verteidigte auf einer Südafrika-Reise die Apartheidpolitik der Regierung in Pretoria.
    Gretel schaltete das Radio ab. Sie wollte nichts dergleichen hören. Es war Zeit für Frau Trakenbergs Tee. Einem alltäglichen, wohlvertrauten Ritual folgend, setzte Gretel den Wasserkessel auf, stellte eine Teetasse auf das Tablett, röstete Weißbrot, butterte die Scheiben und bestrich sie mit Orangenkonfitüre. Dann gab sie Darjeeling-Blätter in die Kanne und goß das kochende Wasser hinzu. Aus einem Schränkchen nahm sie eine frische Serviette, zog sie durch den silbernen Serviettenring und legte sie neben den Frühstücksteller, das Sahnekännchen und das Kandisschälchen aus chinesischem Porzellan. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, sah sich kurz um – Herd ausgeschaltet, Fenster geschlossen, die Spiritusflamme verloschen –, hob das Tablett hoch und verließ die Küche.
    Seit zehn Jahren arbeitete sie nun schon als Köchin bei den Trakenbergs. Fast fünfzig Jahre alt, klein, dick, mit roten Wangen und den Augen einer Fünfzehnjährigen, war sie die gute Seele des Hauses. Für Carl Trakenberg, zwei Jahre jünger als sie und ihr Schwarm, für seine Frau Charlotte und deren Tochter Vivien, für den Gärtner und die leider ständig wechselnden Putzfrauen, für die Elbvorort-Nachbarschaft und die Hamburger Gesellschaft, die bei den Trakenbergs ein und aus ging, war sie einfach «die Burmönken». Man schätzte ihren spröden norddeutschen Humor. Man bewunderte ihren Fleiß und ihre Zuverlässigkeit. Und vor allem: man liebte ihre gute Küche. Sie hatte alles stets im Griff, und alle, wie sie selbst gern sagte, «unter Wind» – sie machte keinen Unterschied zwischen Arm oder Reich, Jung oder Alt, sie machte keinen Hehl aus ihrer Meinung (und sie hatte zu allem eine Meinung!), sie bestimmte den Alltag und den Tagesablauf im Hause Trakenberg, und zwar vom Morgen bis zum Abend.
    Gretel öffnete mit dem Ellenbogen die Tür zum Schlafzimmer, das sich im ersten Stock der Jahrhundertwendevilla befand. Das Ehepaar schlief seit Jahren in getrennten Räumen. Charlotte Trakenberg war bereits wach. Sie saß, den Rücken zur Tür gewandt, an ihrem Schreibsekretär und sah die Briefe durch, die ihr Mann ihr allmorgendlich dorthin legte.
    «Guten Morgen! Sie sind ja schon auf.» Gretel stellte das Tablett auf die stoffbezogene Bank am Fußende des Bettes.
    Charlotte Trakenberg drehte sich um. «Morgen. Ja ... danke Ihnen.»
    Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau, deren starken Willen man ebenso an ihrem Gesicht ablesen konnte wie eine Neigung zur Schwermütigkeit. Sie hatte Schlupflider, eine große, scharfgeschnittene Nase und nach unten gezogene Mundwinkel. Ihre langen, dunkelbraunen Haare waren stets, selbst am Morgen, sorgfältig zu einem Chignon eingeschlagen. Über ihrem Seidenschlafanzug trug sie einen engen, bodenlangen Morgenrock aus roter Mohairwolle, dessen Kragen und Ärmel mit einem Besatz aus Vogelfedern versehen waren, die bei jeder Bewegung und jedem Atemzug flatterten, als wären sie lebendig und wollten aufsteigen. Charlotte Trakenberg hatte sich zu ihrer Köchin umgewandt und einen Arm über die Lehne des Stuhles gelegt. Sie sah aus wie eine adelige Dame auf einem Altmeistergemälde.
    «Soll ich eingießen?» fragte Gretel.
    «Lassen Sie nur.»
    «Noch Wünsche? Sonst gehe ich nämlich wieder in die Küche. Die Dinge erledigen sich ja nicht von allein.»
    Charlotte Trakenberg stand auf. «Danke nein. Ist Elke schon da?»
    «Von der habe ich noch nichts gehört und gesehen. Wahrscheinlich wieder
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