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Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Der Seerosenteich: Roman (German Edition)

Titel: Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Flieders, des Bienenfleißes. Keine Zeit zum Sterben. Aber die Dinge kamen nun einmal, wie sie wollten, und Johanna war es recht so, denn sie interessierte sich für alles, was passierte, Gutes wie Schlimmes.
    «Es gibt nix, was mich nichts angeht», pflegte sie häufig zu sagen, wenn sie die Nachbarn zum Lachen bringen und ihre Klatschsucht rechtfertigen wollte.
    In Luisendorf hieß Johanna nur «die Zeitung». Darin lag ein wenig Verachtung, aber auch Gewißheit: Wenn man etwas in Erfahrung bringen wollte, brauchte man nur «die Zeitung» zu fragen; wenn man schludern wollte, etwas weitertratschen, gleich, ob es nun stimmen mochte oder nicht, konnte man es ohne jede Verantwortung tun.
    «Ich hab's von ‹der Zeitung› her», erzählten sich die Bäuerinnen über den Gartenzaun hinweg oder im Eckladen von Bäcker Voss, der auch Kolonialwarenhändler, Poststation und Treffpunkt in einem war.
    «Hör op», winkten die Männer ab, die im Gasthof Schmidt gegenüber der Backsteinkirche Lütt und Lütt tranken, «ob das ‹die Zeitung› snackt, oder in Bremen fällt 'ne Schaufel um!»
    Sie taten so, als glaubten sie kein Wort. Und erzählten es doch am nächsten Tag schon weiter. Beim Klönschnack von Traktor zu Traktor; beim Mittagessen in der Küche; sonntags, feingemacht, nach dem Kirchgang; abends, müde im Bett.
    Johanna Krögers altes schwarzes Fahrrad holperte über den steinigen, ein wenig abschüssigen Weg. Do, wat du wullt, hatte ihre Mutter ihr schon als Kind beigebracht, de Lüt snackt doch. Da war es doch besser, daß sie über die Leute redete als umgekehrt. War sie eben «die Zeitung». Sie sollten bloß froh sein. Luisendorf mit seinen kaum fünfhundert Einwohnern war ein langweiliges Kaff.
    Ein Stück einer norddeutschen Landstraße, auf dem Weg von Husum nach Flensburg. Eine Kirche, ein Gasthof, ein Laden, eine Schule, ein paar Katen, Häuser und Bauernhöfe und Land, flaches Land, so weit man schauen konnte. Träge und wohlgeordnet floß der Alltag dahin. Rituale bestimmten den Takt der Zeit, wie das Wetter, die Tiere, die Natur. Säen und ernten, hegen und pflegen, essen und trinken. Im Frühjahr wurden alte Hölzer, Sträucher und Zweige zu Haufen, die sie hier Baken nannten, aufgetürmt und verbrannt, gegen die Wintergeister. Dann der Tanz in den Mai, op de Deel; das sommerliche Volksfest in der Nachbargemeinde Albershude, mit Karussell, Bratwurststand und einem gewaltigen Bierzelt; im Herbst das Erntedankfest mit all seinen schönen Bräuchen; und schließlich die Adventszeit, der Heilige Abend und die Silvesternacht.
    Dazwischen lagen die langen Tage, die schon in der Nacht begannen, das Versorgen der Tiere, die Arbeit auf dem Feld, die Samstage, an denen man ein Bad nahm, und die Sonntage mit Kirchgang und Braten, mit Gartenbegehen und Butterkuchenessen. Ja, und die Hochzeiten. Die waren eigentlich das Beste. Die Hochzeiten und die Geburten in Luisendorf. Und dann war da noch der Tod. Der Tod und die Beerdigungen.
    Johanna Kröger strampelte schneller. Sie wollte nicht schuld sein, wenn das arme Kind zu spät käme. Das war keine reine Freude, dieser Auftrag. Aber was sollte sie machen? Sie hatte nur kurz bei Ida reinschauen wollen und gleich gemerkt, daß etwas nicht stimmte. Daß es zu Ende ging mit Hermann. Ida hatte schon nach dem Doktor geschickt.
    «Wo ist deine Tochter?» hatte Johanna gefragt, als beide in der Diele standen.
    «Sie ist spielen, unterwegs, mit dem jungen Rix.»
    «Es wäre besser, sie käme jetzt nach Hause, nicht?»
    Ida hatte nur genickt und war dann langsam und versunken, fast als wäre sie es, die sich von dieser Welt verabschieden müßte, die steile, knarrende Holztreppe nach oben gegangen.
    Ein Schwarm Spatzen flatterte aus dem Roggenfeld auf wie eine Staubwolke und versank wieder in dem Meer junger grasgrüner Sprößlinge, nachdem Johanna Kröger vorbeigefahren war.
    Rechts lag jetzt in Sichtweite, nur ein paar Schritte vom Weg entfernt, geschützt von Weidensträuchern, begrenzt von Schilf und Steinen und in der Sonne funkelnd wie ein Saphir, der Teich. Er war übersät mit Seerosenblüten. Die kleinen Nymphen nannte man sie hier und erzählte den Kindern Geschichten dazu, von Seejungfrauen und Prinzen, von Schätzen und Schlössern und Welten unterhalb der Wasseroberfläche, auf dem Grunde der Seen und Teiche.
    Johanna Kröger bremste ab. Sie stieg vom Fahrrad, schob es ein paar Schritte und versuchte, Isabelle und ihren Freund Jon irgendwo zu entdecken.
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