Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.

Titel: Der seekranke Walfisch. Oder: Ein Israeli auf Reisen.
Autoren: Ephraim Kishon
Vom Netzwerk:
einem gewissen Felix Seelig, von unsrer Absicht erzählte, im kommenden Sommer den europäischen Kontinent zu bereisen. Ich hatte ihm das als Freund erzählt, damit er teilhabe an unserer Vorfreude. Aber er reagierte ganz anders. Er wurde blaß, lehnte sich gegen die Mauer und begann zu röcheln. »Das ist ja reizend«, röchelte er. »Und wohin soll die Reise gehen, wenn ich fragen darf?«
    »Zuerst nach Rhodos - von dort nach Italien - in die Schweiz - Frankreich - England - vielleicht sogar Amerika...«
    »Ist das alles?« fragte mein Nachbar. Dann straffte er sich mühsam, preßte zwischen schmalen, blutleeren Lippen ein gehässiges »Bon voyage, mein Herr!« hervor und ließ mich stehen.
    Ich war verblüfft und ratlos. Hatte ich ihn vielleicht gekränkt? Und wodurch? Für alle Fälle wollte ich mich am nächsten Tag bei ihm entschuldigen, aber er übersah meinen Gruß und wechselte auf die andere Straßenseite.
    Dafür trat die Dame aus dem oberen Stockwerk mit blitzenden Augen auf mich zu:
    »Ist es wahr?« zischte sie. »Und wohin?«
    »Nach Rhodos - dann nach Italien - dann -«
    »Danke. Das genügt. Auf Wiedersehen, mein Herr!«
    Kein Zweifel: Gegen uns war ein organisierter gesellschaftlicher Boykott im Gang. Eine Zeitlang wagte ich mich überhaupt nicht an die Öffentlichkeit und verließ unsre Wohnung nur im Schütze der Nacht. Aber selbst da lief mir einmal ein Hausbewohner über den Weg.
    »Eine Woche in Rhodos«, sprudelte ich eilig hervor. »Nur in Rhodos. Nur eine Woche.«
    »Nur?« erklang das gallige Echo. »Nur?!«
    Wenigstens verzichtete er darauf, auch noch »Mein Herr!« zu sagen. Das war ein Fortschritt. Ich befand mich offenbar auf der richtigen Spur zum richtigen Ton. In den letzten Tagen vor unsrer Abreise sagte ich jedem, der nach unsrem Reiseziel fragte (und es fragte fast jeder):
    »Ein wenig ans Meer. Baden. Und vielleicht angeln.«
    Das ließ man hingehen.
    Wir hatten Israel seit mehr als einem Jahrzehnt nicht verlassen. Jetzt fühlten wir uns wie Storchenjungen, die dem elterlichen Nest entflattern wollen und ihre noch ungelenken Flügelchen spreizen, ohne zu wissen, wie weit sie auf diese Weise kommen würden, wann und wo sie landen sollten und ob sie mit dem spärlichen Devisenbetrag, den man Storchenjungen bewilligt, ihr Auskommen fänden.
    Am Stadtrand von Tel Aviv gibt es eine kleine Höhle. Dort lebt eine alte Eule, die im Rufe großer Weisheit steht. Sie hat diese Weisheit in langen Jahrzehnten und auf vielen Reisen erworben, hat unzähligen Gefahren getrotzt und unzählige Paß- und Zollrevisionen mit heiler Haut überstanden. Wenn es irgendwo auf der Welt Rat zu holen gab, dann hier. Die alte Eule hieß Lipschitz.
    Eines Morgens fuhren wir zu dem Gehölz hinaus, in dem jene Höhle versteckt ist. Lipschitz saß reglos auf einem knorrigen Ast und blinzelte uns aus weisen Augen entgegen.
    »Ehrwürdiger«, begann ich zaghaft. »Wie? Wann? Woher? Wohin? Und vor allem: warum?«
    »Bitte Platz zu nehmen«, sagte Lipschitz, schlüpfte in seine Höhle und kam mit einem Tee zurück. Dann erteilte er uns eine Lektion in Weltreisen. Und er begann wie folgt:
    »Die meisten Menschen glauben, daß Geld alles ist. Sie haben recht. Nicht nur wegen der hohen Preise, sondern vor allem deshalb, weil man im Ausland nur schwer ein Darlehen aufnehmen kann. Wer da sagt: >Ich werde mir schon auf irgendeine Art ein paar Dollar verdienen<, der weiß nicht, was er redet. Denn warum sollte ein Fremder sich freiwillig auch nur von einem einzigen Dollar trennen, um ihn freiwillig einem anderen Fremden zu geben, noch dazu einem Juden?«
    »Rabbi«, sagte ich, »ich kann singen.«
    »Mein Sohn«, sagte Lipschitz, »sprich keinen Unsinn. Nimm den ganzen Geldbetrag, den dir unsre Regierung bewilligen wird, befestige ihn mit einer Sicherheitsnadel im unzugänglichsten Winkel deiner geheimsten Tasche und rühr das Geld nicht an, außer um dich davon zu ernähren, und selbst das mit Vorsicht. Niemals - hörst du: Niemals, nun und nimmer - iß in einem Restaurant, dessen Personal aus mehr als einem einzigen mageren Kellner besteht oder wo dein Teller von unten mit Kerzen angewärmt wird! Jeder Wachstropfen scheint in der Rechnung auf, und da es ihrer viele sind, wirst du die Rechnung nicht bezahlen können. Aus demselben Grund sollst du auch niemals, nun und nimmer etwas bestellen, was nur in französischer Sprache auf der Speisekarte steht. Wenn du zwei halbe hartgekochte Eier als Canapes d'ceufs durs au sel a
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher