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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur
Autoren: Astrid Vollenbruch
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schon Corinna, Sonjas ältere Schwester, geschnappt. Sie lag der Länge nach rücklings auf dem Boden und lächelte verträumt zur Deckenlampe hoch. Sonja kannte diesen Ausdruck. Er bedeutete, dass das Telefon für die nächsten zwei Stunden nicht zur Verfügung stand und Corinna wieder eklige Lippenstiftherzchen rings um den Badezimmerspiegel malen würde.
    Sie warf einen Blick in die Küche. Kein Abendessen weit und breit und es war erst halb sechs. Zeit genug, um schnell zu Melanie zu fahren und die Sache zu klären.
    Aber das geheimnisvolle graue Pferd würde sie aus der Erzählung heraushalten. Niemand würde davon auch nur ein Wort glauben und es gehörte ihr allein.
    »Ich fahre noch mal kurz zu Melanie«, sagte sie zu Corinna, die ihr zwar nicht zuhörte, aber trotzdem ungeduldig mit der Hand wedelte, weil sie nicht gestört werden wollte.
    Melanie wohnte mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in einem weißen Bungalow drei Straßen von Sonjas Mehrfamilienhaus entfernt. Melanies Mutter, Frau Vittori, war Anwältin, ihr Mann war Richter. Sonja konnte beide nicht leiden, seit Philipp einmal wegen eines frisierten Mopeds zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, und sie hielt sich deshalb nicht mehr gerne in dem Haus auf. Meistens holte sie Melanie dort nur ab und ging ihren Eltern möglichst aus dem Weg.
    Heute gelang ihr das nicht. Als sie an der Tür klingelte, öffnete Melanies Mutter. Sie trug wie immer ein schickes Kostüm, als sei sie gerade einer Modezeitschrift für erfolgreiche Frauen entstiegen. »Oh«, sagte sie ziemlich kühl. »Hallo, Sonja.«
    Sonja warf einen Blick an ihr vorbei in den Flur, aber Melanie war nirgends zu sehen. »Kann ich zu Melanie?«
    »Du kannst erst einmal Guten Tag sagen.«
    Sonja wurde rot. »Guten Tag.«
    »Und nein, du kannst nicht zu Melanie. Sie hat bis morgen Abend Hausarrest, weil sie ihr Handy verloren hat. Die Karte war ganz neu. Und du wirst sie auch nicht anrufen. Ich weiß, dass sie von dir nur ein Alibi will.«
    »Sie hat ihr Handy verloren?« Sonja verstand gar nichts mehr. Was hatte das mit ihr zu tun?
    »Ach, das weißt du gar nicht?« Das klang plötzlich lauernd. »Dann wart ihr beide heute gar nicht zusammen im Wald?«
    »Nein«, fing Sonja an und merkte zu spät, dass das die ganz falsche Antwort gewesen war. »Ich meine – doch, wir wollten zum Waldhof, ich meine –«
    »Aha«, sagte Frau Vittori. »Du weißt aber doch sicher, dass der Waldhof letzten Dienstag wegen der katastrophalen hygienischen Zustände geschlossen wurde, nicht wahr? Und was war mit dem verletzten ausländischen Jungen? Den habt ihr doch gemeinsam gefunden, oder? Schließlich habe ich Melanie ausdrücklich verboten, allein in den Wald zu fahren.«
    Sonja sagte gar nichts. Sie hatte keine Ahnung, wovon Melanies Mutter redete, aber sie wusste genau, dass jedes Wort es nur noch schlimmer machen würde.
    »Sonja«, sagte Frau Vittori, »ich bin sehr enttäuscht von dir. Ich weiß wohl, dass dein Bruder ein Krimineller ist, aber von dir hatte ich Besseres erwartet.«
    Sonja fuhr zusammen. »Philipp ist nicht kriminell!« Aber es war schon zu spät. Frau Vittori schloss ihr die Tür vor der Nase.
    Sonja stand vor der geschlossenen Tür und ihr war ganz heiß vor Wut und Scham. Nichts von allem, was passiert war, war ihre Schuld, aber trotzdem war heute alles falsch. Und Philipp war nicht kriminell! Und wenn doch – schön,dann war seine Schwester eben auch kriminell, und das würde sie jetzt beweisen! Sie schaute sich um, aber außer dem gepflegten Vorgarten gab es nichts, was sie kaputtmachen konnte. Da wuchsen noch ein paar Büschel bunter Herbstblumen. Sonja stieg auf ihr Fahrrad und fuhr mitten in die Blumen hinein.
    Die Tür wurde aufgerissen. »Sonja!«, schrie Frau Vittori. Sonja schwang das Fahrrad herum, trat in die Pedale und war im Nu über alle Berge.
    Erst zu Hause, wo Corinna sich mittlerweile auf den Bauch gedreht hatte, aber immer noch telefonierte, wurde Sonja klar, was sie getan hatte. Sie hatte nicht nur Melanie in Schwierigkeiten gebracht, sondern auch sich selbst. Sobald Corinna auflegte, würde Frau Vittori anrufen und sich über sie beschweren. Normalerweise ging Corinnas verliebtes Gefasel und Gekicher am Telefon Sonja furchtbar auf die Nerven, aber plötzlich fand sie es gar nicht mehr so schlimm. Von ihr aus konnte Corinna ruhig noch zwei, drei Stunden so weitermachen.
    »Sonja, bist du das?« Ihre Mutter steckte den Kopf aus der Küche. »Wo bist du gewesen? Du
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