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Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens
Autoren: Laura Walden
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Schultern. Es gab kein Zurück. Und mehr noch. Wenn er den Jungen schon mitnahm, dann nicht ohne das Mädchen. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie auf lange Sicht einen guten Einfluss auf ihn ausüben würde. Denn bei all ihrer Angst war zu erkennen, dass sie ein sanftmütiges Wesen besaß.
      Da fiel dem Reverend seine goldene Taschenuhr ein, die er einst zur Geburt seines Sohnes von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Damals in England. Es war ein prachtvolles Stück und der einzige wertvolle Gegenstand, den der Reverend jemals besessen hatte.
      Ohne zu zögern, öffnete er den Verschluss der Uhrkette, nahm sie in die Hand und reichte sie dem Häuptling.
      »Du bekommst die Uhr, und ich darf das Mädchen mitnehmen!«
      Der Häuptling hielt die Uhr gegen das Sonnenlicht, während er überlegte. Er rümpfte die Nase, und der Reverend befürchtete bereits das Schlimmste. Doch dann ging ein Strahlen über das Gesicht des Häuptlings.
      »Kahurangi Pounamu!«, rief er begeistert aus und deutete auf die grün funkelnden Edelsteine, die den Uhrdeckel zierten.
      Der Reverend nickte zustimmend. Er würde sich hüten, den Irrtum aufzuklären. Für die Maori war der Pounamu, der Green-stone, ein heiliger Schatz. Um den Hals trug der Häuptling ein Amulett aus diesem sattgrün schimmernden Stein, der der gewöhnlichen Jade nicht unähnlich war. Warum sollte er ihm die Illusion nehmen und erklären, dass es sich um vier winzige Smaragde handelte? Der Häuptling lächelte immer noch. In seinem Gesicht stand die Entschlossenheit geschrieben, dass er diese Uhr auf keinen Fall wieder hergeben würde.
      »Gut, Pakeha. Sie ist ohnehin nicht so hübsch wie unsere Frauen. Sie ist viel zu mager«, verkündete der Häuptling gönnerhaft und rief dem Mädchen etwas auf Maori zu. Der Reverend meinte herauszuhören, dass sie nun dem Pakeha gehöre und zu ihm gehen solle, doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Stattdessen starrte sie hilfesuchend den immer noch vor Kälte bibbernden Maori-Jungen an. Der blickte aufmunternd zurück, nahm sie entschlossen bei der Hand und trat auf den Reverend zu. Gemeinsam verließen sie unter den Blicken der Kämpfer diesen Ort des Schreckens.
      Unterwegs sprachen die beiden Kinder kein Wort. Der Junge trug ein hochmütiges und abweisendes Gesicht zur Schau, das den Referend frösteln ließ. Noch bevor er zu Hause in Paihia seine Haustür öffnete, ahnte er, dass er einen großen Fehler begangen hatte, aber er wusste auch, dass er nicht mehr zurückkonnte. Es waren keine Hunde, die er an der nächsten Ecke wieder aussetzen konnte, sondern zwei Kinder Gottes, für die er die Verantwortung übernommen hatte.
      Das hätte ich mir vorher überlegen sollen, durchfuhr es ihn. Nun gehören sie mir.
     
     

1. Teil Der Missionar und seine Kinder
     
    Ka mate, ka mate! ka ora! ka ora!
    Ka mate! ka mate! ka ora! ka ora!
    Tenei te tangata pühuruhuru Näna nei i tiki mai whakawhiti te rä Ä, upane! ka upane!
    Ä, upane, ka upane, whiti te ra!
    Tis death! tis death! (or: I may die j Tis life! tis life! (or: I may live)
    Tis death! tis death!
    Tis life! tis life!
    This is the hairy man
    Who brought the sun and caused it to shine
    A step upward, another step upward!
    A step upward, another... the sun shines!
     
    Aus: Ka Mate, ein Haka, komponiert von Te Rauparaha, Häuptling der Ngati Toa, 1810
     
     

Auckland, Februar 1920
     
    Vivian stand mit vom Fahrtwind und vor Aufregung geröteten Wangen an der Reling des Dampfschiffes Prinzessin Beatrice und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vergessen waren die Strapazen der langen Reise, die ihr dank eines Billettes der zweiten Klasse nicht ganz so beschwerlich vorgekommen war.
      Ach, Mutter, dachte sie wehmütig, wenn du dieses hellgrüne Wasser und diese kleinen verzauberten Inseln nur sehen könntest ... Sie seufzte. Ihre Mutter war tot und hatte ihr allein diese Fahrkarte und eine Adresse in Auckland hinterlassen. Und dazu einen Brief, den sie erst auf dem Schiff hatte lesen sollen, doch bislang war sie nicht einmal dazu gekommen. Ständig hatten ihr mitreisende junge Herren den Hof gemacht und ältere Herren versucht, sie unter ihre Fittiche zu nehmen.
      »Du siehst aus wie ein aus dem Nest gefallener Vogel, den man einfach beschützen will und liebhaben muss«, hatte ihre Mutter stets geseufzt. Vivian fand das gar nicht. Sie war stark. Daran änderte auch ihre Größe nichts. Sie war klein und zierlich, besaß glattes, langes
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