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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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mögliche Thronfolger.
    Trotzdem war das hier mein Zuhause – das einzige, das ich kannte. Ein Ruck ging durch mich, als ich mich plötzlich der Vision von den in Samt gekleideten Gestalten in einem Saal entsann. Anscheinend hatte ich jenen weit entfernten Königshof, an dem meine Familie und ich einst gelebt hatten, doch nicht ganz vergessen …
    Ich wünschte mir sehnlichst, ich könnte in die Kapelle gehen, um eine Weile allein zu sein und in Ruhe nachzudenken. Obwohl sie kalt und karg war, fand ich in der Burgkapelle immer Trost, wenn sich Schwierigkeiten vor mir auftürmten. Das bloße Hinknien und Händefalten verhalf mir zu mehr Gelassenheit und innerer Sammlung, selbst wenn es mir nicht gelang, meine aufgewühlten Gedanken so weit zu bändigen, dass ich beten konnte.
    »Ihr müsst zu ihr gehen«, forderte mich Doña Clara auf. Mit einem stummen Seufzer nickte ich, dann durchquerte ich mit Beatriz an meiner Seite den Saal bis zu der Treppe, die ins erste Stockwerk führte. Am Treppenabsatz angelangt, trafen wir Doña Elvira, die oberste Hofdame meiner Mutter, auf einem Hocker sitzend an. Sie erhob sich eilig.
    »Ach, Isabella, mein Kind!« Sie presste sich ihre mit braunen Flecken übersäte Hand an den Mund, sichtlich darum bemüht, ihre Tränen zurückzukämpfen. Die arme Doña Elvira war ständig den Tränen nahe. Ich kannte keinen Menschen, der so ausgiebig oder häufig weinte wie sie.
    Beschwichtigend berührte ich sie an der knochigen Schulter. Sie war eine meiner Mutter treu ergebene Dienerin, die mit ihr aus Portugal gekommen war und bei allen Widrigkeiten stets an ihrer Seite gestanden hatte. Von ihrer Veranlagung her neigte sie zu Nervosität. Überdies war sie mit den Anfällen meiner Mutter heillos überfordert. Nun, in Wahrheit kam auf der ganzen Burg niemand damit zurecht – außer mir.
    »Ihr dürft Euch nicht beunruhigen«, sagte ich sanft.
    Elvira wischte sich die Tränen von den faltigen Wangen ab. »Als dieser Brief eingetroffen ist … Heilige Jungfrau, du hättest sie sehen müssen. Sie ist ganz wild geworden und hat geschrien und getobt. Ach, war das schrecklich! Und dann hat sie … hat sie die Tür zugeknallt und sich geweigert, irgendjemanden in ihre Nähe zu lassen – nicht einmal mich! Ich habe sie angebettelt, ihren Trunk einzunehmen, sich ins Bett zu legen und sich zu beruhigen. Sie hat gesagt, dass ihr jetzt außer Gott niemand helfen kann.«
    »Ich kümmere mich um sie«, versprach ich. »Geht und bereitet ihr einen frischen Trunk zu. Aber lasst mir etwas Zeit, bevor Ihr ihn bringt.« Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, dann sah ich ihr nach, wie sie davonschlurfte. Schließlich näherte ich mich der Tür zum Schlafgemach meiner Mutter. Ich wollte nicht dort hinein. Am liebsten wäre ich weggelaufen.
    »Ich warte hier«, kündigte Beatriz an. »Für den Fall, dass Ihr mich braucht.«
    Um mich zu beruhigen, atmete ich tief durch, dann griff ich nach der Klinke. Der Riegel innen war vor einiger Zeit entfernt worden, nachdem meine Mutter sich während eines dieser Anfälle wieder einmal eingeschlossen hatte. Mehr als zwei Tage lang hatte sie niemanden zu sich hereingelassen. Zu guter Letzt hatte Don Chacón die Tür aufgebrochen.
    Schon beim Eintreten konnte ich die Spuren des neuesten Anfalls sehen. Über den Boden verstreut lagen zerbrochene Phiolen, Dokumente, Gegenstände, die sie aus Truhen gezerrt und durch den Raum geschleudert hatte. Ich blinzelte, musste mich erst an die Dunkelheit gewöhnen, ehe ich entschlossen einen Schritt vortrat. Mein Fuß stieß gegen etwas. Scheppernd rollte es davon. Es glänzte matt und hinterließ eine nasse Spur.
    Der Kelch mit Doña Elviras Trunk.
    »Mama«, sagte ich, »Mama, ich bin’s, Isabella.«
    Ein Hauch von Schimmelgeruch – wegen der Nähe des Flusses ein ständiger Begleiter in dieser alten Burg – stieg mir in die Nase. Nach und nach zeichneten sich in der Dunkelheit vertraute Gegenstände ab. Ich erkannte das durchhängende Himmelbett meiner Mutter, die Samtvorhänge, die die auf dem Boden ausgebreiteten Binsen streiften, ihren Webstuhl, den Spinnrocken an dem von den geschlossenen Läden verdunkelten Fenster, das erkaltete Kohlenbecken und hinten im Alkoven ihren gepolsterten Thron, ein einsames Relikt unter seinem Abdecktuch, das als Insignien die Wappen ihrer portugiesischen Heimat und Kastiliens trug.
    »Mama?« Meine Stimme bebte. Dann ballte ich die Fäuste. Ich brauchte doch vor nichts Angst zu haben,
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