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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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gedeckt war, befiel mich ein ungutes Gefühl. Etwas stimmte hier nicht. Alfonso und Chacón waren noch in den Stallungen, wo sie die Pferde absattelten und striegelten. Während Beatriz mir den Umhang abnahm, spähte ich zum Kamin hinüber. Niemand hatte daran gedacht einzuheizen. Die einzige Lichtquelle waren die flackernden Fackeln an der Wand.
    Vorsichtig betastete ich mir die von den Zügeln wund gescheuerten Hände. »Wo nur alle sind?«, fragte ich, um einen forschen Ton bemüht. »Eigentlich hätte ich erwartet, dass Doña Clara mit der Rute in der Tür steht und uns eine Strafpredigt hält.«
    »Ich auch.« Beatriz runzelte die Stirn. »Es ist so seltsam still hier.«
    Ich fragte mich, ob meine Mutter während unseres Ausritts wieder eine Krise erlitten hatte. Schuldgefühle befielen mich. Ich hätte in der Burg bleiben müssen und mich nicht so überstürzt entfernen dürfen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
    Meine Gouvernante kam hereingeeilt.
    »Jetzt geht’s uns an den Kragen«, zischte Beatriz, doch ich merkte sofort, dass die betroffene Miene meiner aya nicht uns galt. Falls Doña Clara zunächst wegen unserer Eskapade erbost gewesen war, musste danach etwas geschehen sein, das alles andere verdrängt hatte.
    »Endlich«, seufzte Doña Clara in einem Ton, dem die gewohnte Schärfe fehlte. »Wo habt Ihr nur gesteckt? Ihre Hoheit, Eure Mutter, hat sich nach Euch erkundigt.«
    Meine Mutter hatte sich nach mir erkundigt! Mir sank das Herz. Wie aus weiter Ferne hörte ich Beatriz murmeln: »Wir waren mit Seiner Hoheit zusammen, Doña Clara. Wisst Ihr nicht mehr? Wir haben doch gesagt, dass wir …«
    »Ich weiß, mit wem ihr zusammen wart«, fiel ihr meine aya ins Wort. »Ungezogenes Kind! Was ich gefragt habe, ist, wo ihr wart. Ihr wart über drei Stunden verschwunden, falls ihr das noch nicht bemerkt habt.«
    »Drei Stunden?« Ich starrte sie an. »Es kam mir nicht länger vor als …« Meine Stimme erstarb, als mich ihr aufgebrachter Blick traf. »Ist etwas passiert? Ist Mama …?
    Doña Clara nickte. »Ein Brief ist eingetroffen, als Ihr weg wart. Er hat sie in größte Betrübnis gestürzt.«
    Mir schnürte sich der Magen zusammen. Hilfe suchend griff ich nach Beatriz’ Hand, als Doña Clara hinzufügte: »Der Brief war vom Hof. Ich habe ihn mir vom Boten aushändigen lassen und gleich das Siegel erkannt. Der Bote hat gar nicht erst auf eine Antwort gewartet. Er meinte, das sei nicht nötig. Und als meine Herrin den Brief las, hat sie sich dermaßen aufgeregt, dass wir ihr einen Trunk aus Ringelblume und Rhabarber bereiten mussten. Doña Elvira hat dann versucht, sie zum Trinken zu bewegen, aber sie hat sich geweigert, sich bedienen zu lassen. Sie ist wortlos in ihren Gemächern verschwunden und hat die Tür zugeschlagen.«
    Beatriz drückte meine Hand. Sie brauchte nicht in Worte zu fassen, was wir beide dachten. Wenn ein Brief vom Hof kam, egal, welchen Wortlauts, konnte das nichts Gutes verheißen.
    »Ein Brief – ausgerechnet jetzt!«, ächzte Doña Clara. »Könnt Ihr Euch das vorstellen? Nach zehn Jahren Schweigen! Natürlich ist sie außer sich! Die ganze Zeit haben wir hier gelebt, und nie gab es eine Einladung oder irgendeinen Aufruf – als ob wir verarmte Verwandte wären, die man besser versteckt, weil man sich sonst schämen müsste. Nur Carrillo hat stets das versprochene Geld für unseren Unterhalt geschickt. Aber auch ein Prinz der Kirche kann aus einem zahlungsunwilligen Schatzamt kein Gold herauspressen. Wenn wir nicht unsere eigenen Nutztiere und Felder für den Anbau hätten, wären wir längst verhungert. Und seht Euch nur um: Wir brauchen neue Wandbehänge, Teppiche für die Böden, von Kleidern ganz zu schweigen. Seine Hoheit, der König, weiß das sehr wohl. Er weiß, dass wir zwei Kinder nicht mit Luft und Hoffnung allein aufziehen können.«
    Heftige Ausbrüche waren bei ihr nichts Ungewöhnliches, ja, Klagen über unsere Not erfolgten bei ihr so sicher wie das Amen in der Kirche, sodass ich meist gar nicht mehr hinhörte. Doch nun, als hätte sie mir jäh Scheuklappen von den Augen gerissen, sah ich die Mauern des Saals auf einmal so, wie sie tatsächlich waren: von Schimmel beschmutzt und mit bis zur Farblosigkeit ausgeblichenen Teppichen behängt; die abgetretenen Bodendielen und altersschwachen Möbel, wie man sie in einem heruntergekommenen Bauernhaus erwarten würde, aber doch nicht in der Residenz der Königinwitwe von Kastilien und ihrer Kinder, beide
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