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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher
Autoren: Diccon Bewes
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übers Privatleben spricht. Der Innenbereich bleibt
den engsten Freunden und Angehörigen vorbehalten, zu denen man ein Leben lang
Beziehungen pflegt. Zu dieser Privatsphäre gehört die eigene Wohnung, in die
nur selten Fremde eingeladen werden; das Heim eines Schweizers hat also eher
Festungscharakter. Mag sein, dass die Schweizer deshalb kühl und distanziert
wirken, aber was dem Fremden als unfreundlich erscheint, heißt eigentlich nur,
dass sie den persönlichen Freiraum achten und sich Zeit nehmen, jemanden
kennenzulernen.
    Im Gegensatz zu den vorsichtigen Kokosnüssen gleichen
die englischsprachigen Gesellschaften eher Pfirsichen. Im weichen Fruchtfleisch
ist jeder Fremde ein potenzieller Freund, man spricht sich ohne Umstände beim
Vornamen an, das eigene Heim steht allen offen, und die Atmosphäre ist
wesentlich entspannter. Und weil Freunde ein Leben lang kommen und gehen, besteht
der viel kleinere Kern im Wesentlichen aus der Kleinfamilie, den Menschen, die
einem auch ungewollt erhalten bleiben. Vielleicht passt die Pfirsichmetapher am
besten auf Amerikaner, während die Briten eher noch einer Ananas gleichen –
anfangs ein bisschen stachlig, aber die Schale ist nicht so hart wie die der
Kokosnuss. Dann kommt der große weiche Teil, wo Arbeitskollegen, Nachbarn,
Freunde und Bekannte ziemlich zwanglos zusammenkommen, während die Familie den
harten Strunk bildet.
    Natürlich trifft der Kokosnussvergleich nicht auf
jeden Schweizer zu, aber dem Gesamtbild wird er gerecht. Die Schweizer sind
höflich und freundlich, neuen Bekannten gegenüber aber eher zurückhaltend, und
sie schließen sich gern zusammen. Hat man die Schale erst mal geknackt, sieht
die Sache völlig anders aus – in einem Schweizer findet man den Freund fürs
Leben, nicht nur für die Weihnachtsfeier.
    Zwischen meinem Heimatland Großbritannien und meiner
Wahlheimat der Schweiz gibt es einige Parallelen. In beiden Ländern gilt stillschweigend
eine strenge Etikette, es gibt viel Bürokratie, Menschen von außen finden nur
schwer Freunde und sind kaum je vollends integriert. Außerdem gehen sie zum
europäischen Föderalismus auf Distanz, misstrauen den Deutschen und wollen ihre
eigene Währung behalten.
    Natürlich gibt es auch Unterschiede. In der Schweiz
wird es wohl nie eine Staatsreligion geben, weil Katholiken und Protestanten je
rund die Hälfte der Bevölkerung stellen. Und die Schweiz ist eine der ältesten
Republiken der Welt, Großbritannien hingegen eine Monarchie. Andererseits
bestehen beide Länder aus Teilen, die sich stark voneinander unterscheiden,
aber durch einen gemeinsamen Willen zusammengehalten werden. Tatsache ist, dass
viele Schweizer anglophil sind und die Briten von jeher gern die Schweiz
besucht haben; die eidgenössische Tourismusbranche wurde also praktisch für die
Briten geschaffen. Und schließlich ergeben Ananas und Kokosnuss eine super Piña
colada.
    So wie man die Schweizer als Kokosnüsse betrachten
kann, gilt das auch für das ganze Land. Im größeren Maßstab sind die Berge die
Schale, die die Einwohner schützen und Fremde draußen halten. Für die übrige
Welt sind diese Berge das Gesicht der Schweiz, was kaum überrascht, wenn man
bedenkt, wie stark sie die Landschaft prägen. Zwar muss die Schweiz die Alpen
mit sämtlichen Nachbarstaaten teilen, aber dank ihren 48 Viertausender kann man
das Land mit Fug und Recht als Dach Europas bezeichnen. Fast zwei Drittel der
Landesfläche nehmen die Alpen ein, weitere zehn Prozent entfallen auf die
Jura-Höhenzüge im Nordwesten. Und in diesem Land zahlloser Berge ragt einer
heraus: das Matterhorn.

Der Berg ruft
    In der Schweiz gibt es praktisch keine weltbekannten
Denkmäler oder Gebäude, weder ein Tadsch Mahal noch einen Eiffelturm oder ein Opernhaus
à la Sydney. Stattdessen gibt es Berge, darunter zwei der bekanntesten Europas.
Die schroffe Eiger-Nordwand spielt zwar häufig in Filmen und Büchern die
Hauptrolle, aber die wahre Schweizer Ikone ist das Matterhorn. Dieses
einzigartige dreieckige Wunder mit dem windschiefen Gipfel ist in der ganzen
Welt bekannt, nicht immer aber zu Hause. Keine der 16 Kandidatinnen für die
Miss-Schweiz-Wahlen 2009 konnte den berühmten Berg auf dem vorgelegten Foto benennen; anscheinend geht
es bei der Kür dieser Schönheitsköniginnen wirklich nur ums Aussehen. Für die
meisten anderen
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