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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier
Autoren: Charles Dickens
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Stimme bei George, meinem zweiten Assistenten (mein erster war im Urlaub), der für mich die Gänge zur Bar übernimmt.
    Den ganzen grauenhaften Tag hindurch schritt er ständig in der Kaffeestube auf und ab. Er kam oft nah an meine Trennwand heran und spähte hinein, allzu offensichtlich auf der Suche nach seinem Gepäck. Halb sieben rückte heran, und ich deckte seinen Tisch. Er bestellte eine Flasche Old Brown 28 . Ich bestellte ebenfalls eine Flasche Old Brown. Er trank seinen. Ich trank meinen (soweit meine Pflichten dies erlaubten), Glas für Glas, genau wie er. Er schloss seine Mahlzeit mit Kaffee und einem Gläschen ab. Ich schloss mit Kaffee und einem Gläschen ab. Er döste.Ich döste. Endlich – »Herr Ober!« – bat er um seine Rechnung. Jetzt war der Augenblick gekommen, in dem wir uns im mörderischen Ringkampf umklammern mussten.
    Rasch wie der Pfeil von der Sehne schoss mir meine Entscheidung durch den Kopf, mit anderen Worten: Ich hatte sie mir sozusagen zwischen zwölf Uhr und Mittag ganz genau überlegt. Und diese Entscheidung war, dass ich das Thema als Erster mit einem vollen Eingeständnis eröffnen und ihm jegliche, in meinen Kräften stehende, ratenweise Wiedergutmachung anbieten würde. Er zahlte seine Rechnung (und eine angemessene Summe Trinkgeld), während sein Auge immer noch auf der Suche nach seinem Gepäck überallhin schweifte. Ein einziges Mal trafen sich unsere Blicke, und in seinen Augen lag der glänzende Schein (ich denke, ich habe recht, wenn ich ihm diese Eigenschaft zuschreibe) des wohlbekannten Basilisken. Der Augenblick der Entscheidung war gekommen.
    Mit leidlich ruhiger Hand, wenn auch mit großer Demut, legte ich ihm die Druckfahnen vor.
    »Großer Gott!«, rief er aus, sprang von seinem Stuhl auf und raufte sich die Haare. »Was ist das? Gedruckt!«
    »Sir«, erwiderte ich mit beruhigender Stimme und beugte mich vor, »ich gestehe bescheiden, dass ich die unglückselige Ursache dessen bin. Aber ich hoffe, Sir, wenn ich Ihnen die Umstände erläutert habe und Sie von der Unschuld meiner Absichten …«
    Zu meiner höchsten Verwunderung wurde ich mitten im Satz dadurch unterbrochen, dass er mich in beide Arme schloss und mich an sein Brustbein presste, wo, ich muss es gestehen, mein Gesicht (und insbesondere meine Nase) zeitweilig sehr darunter litten, dass er seinen Überrock hoch geknöpft trug und dessen Knöpfe ungewöhnlich hart waren.
    »Ha, ha, ha!«, rief er, entließ mich mit irrem Lachen aus seiner Umarmung und packte meine Hand. »Wie ist Ihr Name, mein Wohltäter?«
    »Mein Name, Sir«, – ich war ganz zerknittert und verstand nicht recht, was er tat –, »ist Christopher, und ich hoffe, Sir, dass Sie, wenn Sie meine Erklä …«
    »Gedruckt!«, rief er wiederum und wühlte in den Druckfahnen herum, als wollte er darin baden. »Gedruckt!! O Christopher! Wohltäter! Nichts kann Sie je dafür entschädigen – aber welche Summe wäre denn für Sie annehmbar?«
    Ich hatte einen Schritt zurück gemacht, sonst hätte ich wieder unter seinen Knöpfen zu leiden gehabt.
    »Sir, ich versichere Ihnen, ich bin bereits gut dafür bezahlt worden, und ich …«
    »Nein, nein, Christopher! Sagen Sie das nicht! Welche Summe wäre für Sie annehmbar, Christopher? Wären zwanzig Pfund angemessen, Christopher?«
    Wie groß auch meine Überraschung war, so fand ich natürlich Worte und sagte: »Sir, ich denke nicht, dass je ein Mann geboren wurde, wenn er nicht gerade zu viel Wasser im Hirn hat, der zwanzig Pfund nicht angemessen fände. Aber … ich bin Ihnen sehr verbunden, ganz gewiss, Sir« – denn er hatte Geld aus seiner Brieftasche gezogen und mir zwei Banknoten in die Hand gedrückt –, »aber ich wüsste doch zu gern, Sir, ohne Ihnen zu nahe zu treten, womit ich diese Freigebigkeit verdient habe?«
    »Dann sollen Sie wissen, lieber Christopher«, antwortete er, »dass ich seit meinen Kindertagen ohne Unterlass und ohne jeglichen Erfolg versuche, meine Werke gedruckt zu sehen. Sie sollen wissen, Christopher, dass alle noch lebenden Buchhändler – und einige bereits verstorbene – sich geweigert haben, meine Werke zu drucken. Sie sollen wissen, Christopher, dass ich ein Ries Papier nachdem anderen mit Worten beschrieben habe, die nicht gedruckt wurden. Aber Sie sollen sie lesen, mein Freund und Bruder. Haben Sie manchmal freie Tage?«
    Die große Gefahr erkennend, in der ich schwebte, antwortete ich geistesgegenwärtig: »Niemals!« Und um es noch endgültiger zu
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