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Der Schwarze Papst

Titel: Der Schwarze Papst
Autoren: Eric Walz
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diesen Worten ließ er Milo stehen und wandte sich der Bettlerin mit dem Kind zu. Sie war noch keine alte Frau, aber
das Elend hatte ihre Züge wie eine entstellende Krankheit überzogen. Sandro kannte die Stadien des Elends. Seine Arbeit im Hospital der Jesuiten hatte ihn gelehrt, die Zeichen des nahenden Todes zu erkennen. Die Bettlerin, die nicht mehr die Kraft zum Betteln hatte, war fast verhungert und von Schädlingen befallen. Ungewiss, ob sie noch zu retten sein würde. Aber das Kind …
    »Warst du im Hospital der Jesuiten?«, fragte er, erhielt jedoch keine Antwort. Er musste seine Frage noch zweimal wiederholen, bevor sie den Willen fand, ihn anzusehen und mit einer verneinenden Geste zu antworten.
    »Wieso nicht?«, erkundigte er sich. »Das Hospital steht allen Bedürftigen offen.«
    »Es - es liegt im dritten Bezirk«, sagte sie.
    »Ja - und?«
    Mit gequältem Unwillen sah sie ihn an und erklärte mit schwacher Stimme: »Um in den dritten Bezirk zu kommen, muss ich den vierten, fünften oder achten Bezirk durchqueren.«
    »Mag sein, aber ich weiß noch immer nicht …«
    »In diesen Bezirken ist Betteln nicht erlaubt, und die Stadtwachen schickten mich immer wieder zurück.«
    Sandro erhob sich. Innerhalb eines Atemzuges wuchs eine gewaltige Empörung in ihm, die ihn trotz der Hitze wie auf Flügeln quer über den Platz zu den dösenden Wachen vor der Taverne trug.
    »Du und du, ihr beide begleitet die Frau und das Kind zum Jesuitenhospital im dritten Bezirk, notfalls tragt ihr sie, und zwar sofort, verstanden?«
    Die Wachen, unsanft aus süßem Nichtstun geholt, sahen sich an und lachten. »Befiehlt uns wer?«, fragte der eine den anderen, und der andere antwortete: »Befiehlt uns ein Mönch.« Daraufhin lachten sie erneut.

    »Befiehlt euch Sandro Carissimi, der Privatsekretär und Visitator Seiner Heiligkeit«, korrigierte Sandro, woraufhin die beiden Männer Haltung annahmen und Entschuldigungen stammelten. Genau genommen hatte Sandro natürlich keinerlei Befugnis, Befehle zu erteilen, vor allem, da es sich nicht um die Schweizergarde handelte, sondern um die Stadtwache. Doch die Erwähnung des Papstes machte dieses Manko wieder wett.
    »Sofort«, wiederholte Sandro.
    Er folgte den beiden Wachleuten zum Brunnen und überwachte die Umsetzung seines Befehls. Die Frau stützte sich auf die Schulter des einen Wachmanns, der andere trug ihr Kind.
    »Einen Moment noch«, sagte Sandro. »Vor ungefähr zwei Monaten, am Tag der großen Papstmesse vor dem Dom, stürzte eine Frau aus einem der oberen Stockwerke dieses Hauses dort. Hat einer von euch den Sturz beobachtet?«
    Die beiden Wachen verneinten und erklärten, dass an jenem Tag fast alle Wachen rund um den Petersplatz postiert worden waren, um die Zugangsstraßen zu kontrollieren und im Gedränge nach Dieben Ausschau zu halten.
    »Und du?«, fragte Sandro die Bettlerin.
    Sie schüttelte den Kopf, aber sie warf ihm dabei einen Blick zu, als würde sie wünschen, ihm eine andere, eine hilfreiche Antwort geben zu können. Dann schien ihr etwas einzufallen. Sie wies mit dem Finger auf ein Gebäude auf der anderen Seite der Piazza, und als Sandro genauer hinsah, bemerkte er eine Greisin an einem offenen Fenster, die immer dort zu sitzen schien, ausdruckslos, reglos, mit gleichbleibendem Ausdruck, wie ein Porträt in Öl. Wenn sie wirklich den ganzen Tag dort am Fenster verbrachte, könnte sie etwas gesehen haben.
    »Danke«, sagte er, und als die Frau sich in Begleitung der Wache entfernte, fügte er ein stilles »Alles Gute« hinzu.

    Normalerweise setzte Milo alles daran, einem Rivalen immer einen Schritt voraus zu sein, auch im wahrsten Sinne des Wortes, wenn es zum Beispiel ums Treppensteigen in einem Mietshaus ging. An diesem Tag jedoch blieb er freiwillig eine Stufe hinter Carissimi, obwohl es ihm ein Leichtes gewesen wäre, die Geschwindigkeit zu diktieren. Er hatte nachzudenken, und er fand, dass ihm das im Rücken Sandro Carissimis leichter fiel.
    Er hatte Carissimi von Anfang an nicht unterschätzt - berufsmäßige Mörder, wie Milo einer war, durften sich keine Arroganz erlauben, und diese Haltung, zu der sein heimlicher Beruf ihn zwang, hatte er auf sein ganzes Leben übertragen, auch auf die Liebe und den Kampf um diese Frau. Er wollte Antonia, und er erkannte, dass Sandro Carissimi sie ebenfalls wollte. Mehr musste er nicht wissen, um Carissimis Tod zu wünschen und vorzubereiten. Auch wenn er nicht von Massa, dem Kammerherrn des Papstes,
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