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Der Schwarze Papst

Titel: Der Schwarze Papst
Autoren: Eric Walz
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führte ohne Abzweigungen in das einzige Zimmer der Wohnung. Es war Schlafzimmer, Küche und Speisekammer in einem, mit einem sehr kleinen Kamin, in dem ein leerer Kupfertopf hing, einem Bett, dessen Laken zahlreiche blassgelbe Ringe aufwies, und einem Sammelsurium an ungespülten Schüsseln und Schalen, deren Inhalte mehr oder weniger
vertrocknet waren. Irgendwo zwischen alledem, so als wäre sie nicht die Verursacherin, sondern ein Bestandteil des Durcheinanders, saß die korpulente Greisin am Fenster. Ihre grauen Haare standen in alle Richtungen ab, und es reichte aus, sie aus der Distanz anzusehen, um zu wissen, dass sie so roch wie die Wohnung.
    »Was ist?«, fragte sie schroff. »Was fällt euch Lümmeln ein, hier hereinzukommen? Euch gebe ich …« Sie schwang die flache Hand und murrte; Überbleibsel einer lange vergangenen Zeit, in der ihre Gesten und Worte noch Eindruck auf Lümmel gemacht hatten.
    »Ich grüße Euch«, sagte Carissimi in unnachahmlicher Höflichkeit. Er trat einen Schritt näher. »Verzeiht unser Eindringen, aber Ihr habt nicht auf mein Klopfen reagiert.«
    »Wenn man auf Klopfen nicht reagiert, bedeutet das, dass man in Ruhe gelassen werden will. Hat deine Mutter dir das nicht beigebracht? Wer bist du?«
    »Sandro Carissimi. Ich bin Jesuit.«
    »Es gibt ein Sprichwort: Bringe deine Töchter vor den Dominikanern in Sicherheit, und dein Geld vor den Jesuiten. Scheint was dran zu sein. Dass sie sogar in Wohnungen einbrechen, hätte ich nicht gedacht.«
    Milo musste lachen und ließ sich auch nicht von Carissimis missbilligendem Blick davon abbringen.
    »Ich kläre den Tod einer Frau auf«, sagte Carissimi, wieder an die Greisin gewandt, die sich jedoch lieber den Flug der Schwalben ansah, so als stünden nicht zwei fremde Männer in ihrem Zimmer.
    »Welcher Frau?«, fragte sie mürrisch.
    »Sie wohnte auf der anderen Seite der Piazza, dort drüben, in dem Haus links von der Kirche.«
    »Was geht mich das an?«
    »Nun, Ihr wirkt, als würdet Ihr viel Zeit am Fenster verbringen, und da habe ich mir gedacht …«

    Die Greisin warf blitzschnell ihren Kopf herum und funkelte Carissimi mit ihren grauen Augen an. »Ja«, stieß sie hervor. »Ja, ich sitze hier tagein und tagaus. Meine Beine machen nicht mehr mit, mein Rücken tut so weh, dass mir die Tränen kommen, und außer meinem Enkel, der einmal am Tag vorbeikommt, kümmert sich kein Aas um mich. Dir passt das natürlich gut in den Kram, was? Die Alte am Fenster hat vielleicht was gesehen, die ist ein solches Wrack, wo soll sie schon anders sein als am Fenster, die kommt mir gerade recht. Gut, dass sie so unbeweglich ist wie ein abgestorbener Rosenbusch, gut, dass ihre Beine nicht mehr mitmachen, wie? Hast du dir fein ausgedacht. Aber ich weiß nichts, habe nichts gesehen. Hörst du? Nichts, gar nichts, nicht das Geringste. Die Schwalben sehe ich, die Bäume, die Käfer, die über das Fensterbrett krabbeln, ich sehe das Leben … Den Tod sehe ich nicht, so weit habe ich es noch nicht gebracht. Mein Gatte hat mir genug Geld hinterlassen, so dass ich seit sechs Jahren an diesem Fenster sitzen kann, ohne was zu verdienen. Niemand muss mir was schenken, auch meine Kinder nicht, auch nicht mein Enkel. Der muss mir die Sachen bringen, die ich bezahle, fertig. Und das Geld reicht noch einmal für sechs Jahre. Dann bin ich tot. Und wenn nicht, ja dann … Eine Bettlerin wie die da unten werde ich nicht, darauf kannst du dich verlassen.« Sie schlug mit der flachen Hand auf das Fensterbrett. »Bevor es so weit kommt, werde ich den Tod aufsuchen. Ich wette, er breitet seine Arme aus, wenn er mich sieht. Da unten grinst er schon, auf dem Pflaster direkt unter meinem Fenster. Aber er muss warten. Vorerst hab ich nichts mit ihm zu schaffen. Also mach, dass du wegkommst, du und dein Tod!«
    Carissimi schwieg eine Weile und sagte dann: »Wenn Eure Augen so gut sind, eine Bettlerin am Brunnen der Piazza zu sehen, sind sie auch gut genug, das Haus auf der anderen Seite zu sehen.«

    Die Alte ignorierte ihn, sah den Schwalben bei ihren akrobatischen Flugmanövern zu.
    »Die Frau, von der ich spreche«, insistierte Carissimi, »war eine gute Freundin von mir. Sie hatte viel Unglück im Leben. Ihr Mann und ihre Tochter starben vor Jahren unter traurigen Umständen, und vor kurzem starb auch der Mann, mit dem sie ihre zweite Ehe eingehen wollte, ein Glasmaler. Sie hatte schwere Zeiten erlebt, aber sie hat nie aufgegeben. Ich glaube nicht, dass sie in den Tod
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