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Der Schwarze Papst

Titel: Der Schwarze Papst
Autoren: Eric Walz
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Bewegung auf die ahnungslosen Liebenden zu gewann er an Entschlossenheit. Sein Blick streifte Antonias strohblondes, leicht rötlich schimmerndes Haar, das sie stets lose und unvollkommen aufsteckte, ihren schlanken Körper im schlichten Kleid; ihren Hals und die Ohren, die sie nie schmückte, ihre hellhäutige
Hand, die auf Milos Rücken lag. Und dann glitt Sandros Blick über Milo, den fünfundzwanzigjährigen Sohn einer Bordellvorsteherin, wie üblich barfuß, mit lässigem Hemd und Fischerhosen bekleidet. Gegen einen solchen Mann sah Sandro in seiner schwarzen Kutte wie ein frühchristliches Relikt aus.
    Sandro streckte seine Arme dem Paar entgegen. Er war fast bei ihnen. Über ihre Schultern hinweg sah er die Piazza, die Fuhrwerke, die Bettler …
    Ein kräftiger Stoß würde genügen. Das Fenstersims war so niedrig, dass es unterhalb der Hüfte verlief. Es war das Einfachste von der Welt, hier jemanden umzubringen.
    Er stand hinter ihnen. Seine Hände schwebten hinter ihren Nacken. Und dann …
    »So muss es gewesen sein.«
    Antonia und Milo fuhren erschrocken herum.
    »So muss es gewesen sein«, wiederholte er und sah die beiden, die kein Wort herausbrachten, abwechselnd an.
    »Tut mir leid, ich bin ein bisschen zu spät«, sagte er betont beiläufig. »Ich stelle mir vor, dass Carlotta am Fenster stand und auf den Platz hinunterschaute. Der Mörder trat unbemerkt ein, so wie ich eben, und gab der Ahnungslosen einen kräftigen Stoß. Arme Carlotta. Sie ist mit einer Plötzlichkeit aus dem Leben gerissen worden, die mich wütend macht.«
    Milo erholte sich erwartungsgemäß als Erster von dem Schreck, den er ihnen versetzt hatte. »Vielleicht war es so«, räumte er ein. »Ihr wisst ja, ehrwürdiger Vater, dass ich Eure Theorie, Carlotta sei ermordet worden, für möglich halte.«
    Milo hatte ihn wieder »ehrwürdiger Vater« genannt, obwohl er ihm schon mehrmals vorgeschlagen hatte, dass ein »Bruder Sandro« in Anbetracht des Altersunterschieds von drei Jahren und der Tatsache, dass sie sich privat kannten, durchaus genügen würde.
    »Aber«, fuhr Milo fort, »sie kann auch von selbst gesprungen
sein, aus Verzweiflung darüber, dass ihr Weg sie wieder zurück ins Hurenmilieu führte.«
    Sandro wägte den Einwand ab. »Es spricht allerdings einiges gegen Selbstmord. Carlotta hätte im Teatro , dem Hurenhaus Eurer Mutter, angefangen, das sie kannte und wo sie sich verhältnismäßig wohlfühlte. Sie hätte dort nicht als Hure gearbeitet, sondern als Assistentin der Vorsteherin, Eurer Mutter.«
    »Trotzdem ein Weg zurück ins Milieu, dem sie versucht hatte zu entkommen.«
    »Weiterhin hat sie mir wenige Tage vor ihrem Tod gesagt, dass jemand in ihre Wohnung eingebrochen sei, in dieses Zimmer, und dass der Einbrecher mit aller Vorsicht und ohne etwas zu stehlen vorgegangen sei. Nur, weil er zwei Gegenstände nicht wieder genau an ihren Platz legte, hatte Carlotta den Einbruch überhaupt bemerkt. Nicht zu vergessen die Information Eurer Mutter, dass ein unbekannter Mann sich im Milieu der Huren ausführlich nach Carlotta erkundigt hatte. Das spricht dafür, dass sich jemand …«
    »Ein übliches Vorgehen im Milieu«, fiel Milo ihm ins Wort. »Als künftige Assistentin der Vorsteherin des angesehensten Hurenhauses der Stadt zog Carlotta die Aufmerksamkeit der anderen Hurenhausbesitzer auf sich.«
    »Bis hin zum Einbruch?«, fragte Sandro skeptisch.
    »Ich kenne das Milieu besser als Ihr, ehrwürdiger Vater , und ich sage Euch, so etwas ist nicht außergewöhnlich.«
    Sandro grinste. »Wenn Ihr meint, mein Sohn .« Er wandte sich dem leeren Zimmer zu und breitete die Arme aus. »Und wie erklärt Ihr das hier?«
    »Das leere Zimmer? Wir alle wissen doch, dass Carlotta ihre Habseligkeiten ins Teatro gebracht hatte.«
    »Und Ihr meint, sie war noch ein letztes Mal hergekommen, um sich von dem Zimmer und dem Haus zu verabschieden, in dem sie eine ganze Weile gelebt hatte?«

    »Richtig«, sagte Milo. »Ich denke, dass Carlotta in diesem Moment, in dem leeren Zimmer, als ihr klar wurde, dass das Leben nichts mehr für sie bereithielt, von der Verzweiflung besiegt wurde.«
    Sandro zog die Augenbrauen hoch. »Von der Verzweiflung besiegt - was für eine monumentale Formulierung. Alle Achtung!«
    »Meinetwegen nennt es, wie Ihr wollt. Dass sie erschöpft war, dass sie für kurze Zeit irre wurde, dass ihr nichts mehr etwas bedeutete. Könnte doch sein, oder? Ist zumindest genauso wahrscheinlich wie Eure
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