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Der Schwarze Papst

Titel: Der Schwarze Papst
Autoren: Eric Walz
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auch nicht immer reden. Schweigen wir doch ein bisschen. Ich finde schweigende Männer ausgesprochen anziehend.«
    Sie standen sich im Abstand von fünf Schritten gegenüber, sie an die eine Zimmerwand gelehnt, Milo an die andere, zwischen ihnen nur das leere Zimmer, und sie sahen sich an, lächelten, kokettierten, setzten die Körpersprache ein, um Sehnsucht, Begehren oder Belustigung auszudrücken. Zwei Pantomimen der Liebe. Das war das Wunderbare, das Begeisternde an Milo, dass er jedes Spiel und jede Verrücktheit, die ihr einfiel, mitmachte, dass er mit erstaunlichem Feingefühl die Schwankungen ihres Temperaments erfasste und fast immer das Richtige tat. Nur jemand, der aufrichtig liebte, konnte diese Fähigkeit entwickeln, und dieser Gedanke bereitete Antonia ein plötzliches Hochgefühl. Sie wurde geliebt.
    Und zwar auf eine lebendige Weise. Sandros Liebe war von den ersten Tagen in Trient an immer etwas gewesen, das er eingeschlossen hatte, so wie man eine verrückte Großmutter einschließt und die Schreie, die sie von sich gibt, geflissentlich überhört. Er hatte sich nie zu Antonia bekannt und war ihr lange Zeit aus dem Weg gegangen. Einen Winter und einen Frühling lang hatte Antonia die Hoffnung gehabt, dass Sandro
sein Keuschheitsgelübde wie die meisten römischen Geistlichen nicht ernst nähme und dass der schöne Gigolo und reiche Kaufmannssohn, der er - nach allem, was sie wusste - vor acht Jahren, bevor er Jesuit wurde, gewesen war, wieder zum Vorschein käme. Vergeblich. Es war zum Eklat gekommen, und erst im Zuge ihrer gemeinsamen Ermittlungen im Fall der ermordeten Konkubine des Papstes hatten sie sich wieder versöhnt. Aber da war bereits Milo in Antonias Leben getreten. Und sie war froh darüber.
    Plötzlich erschauerte Antonia.
    »Was ist los?«, fragte der aufmerksame Milo, der selbst in den Momenten größter Entspannung und Harmonie einen inneren Späher zu haben schien.
    »Ach, nichts. Es ist nur …«
    »Dieses Zimmer?«
    Sie blickte zu ihm auf. Er war fast einen Kopf größer.
    Sie befanden sich nicht in irgendeinem Zimmer, sondern in dem ihrer kürzlich verstorbenen Freundin Carlotta, der fast mütterlichen Vertrauten, die gerade wegen ihres früheren Berufes als Hure so viele Facetten des Lebens gekannt und Antonia mehr als einmal klugen Rat und viel Trost gegeben hatte. Was blieb, waren Scherben der Erinnerung, kleine, leuchtende Teile gemeinsam verbrachter Stunden. Manche dieser gläsernen Juwelen waren Sätze, die Carlotta gesagt hatte: »Natürlich bist du eine unmoralische Frau. Ich würde dich nicht zur Freundin haben wollen, Antonia, wenn du moralisch wärst.« Mit ihr hatte Antonia, die sich sonst nur in der Liebe und in ihrer Glasmalerei mitteilen konnte, sprechen können wie mit keinem anderen Menschen. Carlotta, das war auch die Umarmung einer großen Schwester, das waren Herbstspaziergänge in klarer Luft, das waren Worte, die niemand sonst auszusprechen wagte, der warme Geruch von Puder, ein melancholischer Blick …

    Das leere Zimmer, in dem sie standen, kam Antonia mit einem Mal wie eine Totenkammer vor. Sie öffnete das Fenster.
    »Hier ist sie also in den Tod gesprungen«, flüsterte sie. »Es ist schon zwei Monate her, aber mir ist, als sei es heute Morgen passiert. Sie ist so - so gegenwärtig.«
    »Quäl dich nicht«, bat Milo.
    »Aber wir sind doch hier, um uns zu quälen. Wir wollen herausfinden, ob es tatsächlich Selbstmord war oder ob Sandros Verdacht stimmt, dass man sie …« Ihre Stimme versagte.
    Sie blickten gemeinsam hinunter auf die Piazza del Popolo, standen ganz nah beieinander, spürten weder den Luftzug, noch vernahmen sie hinter sich ein Geräusch, obwohl sie nicht mehr allein im Zimmer waren.
     
    Sandro sah sie dort stehen, zwei Liebende wie Schlingpflanzen verbunden. Eine Weile bewegte er sich nicht. Er schmeckte Salz auf den Lippen, denn es war heiß, und der Schweiß rann ihm über die Schläfen, hinunter bis zum Kinn. Sein Blick verriet nicht, was in ihm vorging, obwohl er sich keine Mühe hätte geben müssen, etwas zu verbergen, da Antonia und Milo ihn nicht bemerkten.
    Sandro war nicht absichtlich leise eingetreten. Es war wohl so, dass man, wenn man am geöffneten Fenster oberhalb der Piazza del Popolo stand, einfach nicht hörte, wenn jemand zur Tür hereinkam.
    Er machte einen Schritt vorwärts, der ihm seltsamerweise schwerfiel, so als trage er ein Gewicht in den Schuhen. Der nächste Schritt ging schon etwas leichter, und mit jeder
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