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Der Schutzengel

Der Schutzengel

Titel: Der Schutzengel
Autoren: Dean R. Koontz
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geboten hätte. Wäre der Junge zu sehen gewesen, wäre er nicht näher an die Frau herangegangen. Falls sie den Kleinen jedoch unterwegs in irgendeiner Spalte versteckt hatte, würde er sie zur Preisgabe seines Verstecks zwingen müssen, denn er hatte Befehl, sie alle zu liquidieren – Krieger, die Frau und den Jungen. Klietmann bezweifelte, daß der Junge eine Gefahr für das Reich darstellte, aber Befehl war Befehl.
    Stefan fand ein ausgezogenes Paar Schuhe und zusammengeknüllte schwarze Socken voller Sand. Schon zuvor hatte er eine Sonnenbrille gefunden.
    Er war noch nie einem Mann gefolgt, der sich unterwegs ausgezogen hatte, und das erschien ihm anfangs irgendwie komisch. Aber dann dachte er an die in den Romanen Laura Shanes geschilderte Welt, in der sich Komik und Entsetzen mischten, eine Welt mit Tragik in Augenblicken der Heiterkeit, und hatte plötzlich Angst vor den abgelegten Schuhen und Socken, weil sie komisch waren. Er hatte sogar den verrückten Gedanken, unter keinen Umständen lachen zu dürfen, weil sein Lachen Lauras und Chris’ Tod zur Folge haben würde.
    Wenn sie diesmal starben, würde er sie nicht retten können, indem er in die Vergangenheit zurückreiste und ihnen eine weitere Warnung schickte, die früher ankommen mußte als die in der Glaskaraffe, denn dafür hätte nur eine Zeitspanne von fünf Sekunden zur Verfügung gestanden. Selbst mit einem IBM-PC ließ sich kein so feines Haar mehr spalten.
    Im Sand des Flußbetts führten die Fußabdrücke des Barfüßigen zur Einmündung eines Nebenarms. Obwohl die Schmerzen in Stefans halbverheilter Schulter ihm den Schweiß auf die Stirn trieben und ihn benommen machten, folgte er der Fährte, wie Robinson Crusoe der Freitags gefolgt war – nur mit schlimmeren Vorahnungen.
    Laura beobachtete mit wachsender Verzweiflung, wie der Nazi-Killer durch die Schatten am Boden der Erdschlucht näher kam. Seine Uzi war auf sie gerichtet, aber aus irgendeinem Grund hämmerte sie nicht sofort los. Sie benützte diese unerklärliche Galgenfrist, um fieberhaft weiter an dem Sicherheitsdraht um den Handgriff des Vexxon-Zylinders zu sägen.
    Daß sie selbst unter diesen Umständen noch hoffen konnte, hing mit einem Gedanken aus einem ihrer Romane zusammen, an den sie sich soeben erinnert hatte: In Tragik und Verzweiflung, wenn eine endlose Nacht herabgesunken zu sein scheint, finden wir Hoffnung in der Erkenntnis, daß der Gefährte der Nacht keine weitere Nacht ist, daß der Gefährte der Nacht der Tag ist, die Dunkelheit stets dem Licht weicht und der Tod nur die eine Hälfte der Schöpfung regiert – und das Leben die andere.
    Jetzt nur mehr sechs, sieben Meter von ihr entfernt, fragte der Killer: »Wo ist der Junge? Der Junge! Wo steckt er?«
    Laura spürte Chris hinter ihrem Rücken, wo er im Schatten zwischen ihr und der Steilwand kauerte, die den Abschluß des Arroyos bildete. Sie fragte sich, ob ihr Körper ihn vor den Kugeln schützen und dieser Mann abziehen würde, nachdem er sie erschossen hatte, ohne zu merken, daß Chris in der dunklen Nische hinter ihr noch lebte.
    Der Zeitschalter des Zylinders klickte. Aus der Düse strömte unter hohem Druck Nervengas mit reichem Aprikosenduft und dem widerlichen Geschmack eines Gemischs aus Zitronensaft und saurer Milch.
    Klietmann sah nichts aus dem Behälter ausströmen, aber er hörte etwas wie das Zischen Dutzender von Schlangen.
    Im nächsten Augenblick hatte er das Gefühl, eine Hand habe sich durch seine Bauchdecke gebohrt, mit eisenharten Fingern seinen Magen umklammert und ihn herausgerissen. Er krümmte sich zusammen und erbrach sich explosiv in den Sand und auf seine nackten Füße. Mit einem schmerzhaften Aufblitzen, das seine Augen von innen versengte, schien etwas in seinen Stirnhöhlen zu zerplatzen, ein Blutstrom schoß ihm aus der Nase. Während er auf dem Boden der Arroyos zusammenbrach, betätigte er reflexartig den Abzug der Uzi; weil er wußte, daß er starb und dabei jegliche Körperbeherrschung verlor, bemühte er sich mit letzter Willensanstrengung, auf die der Frau zugewandte Seite zu fallen, um sie durch diesen abschließenden Feuerstoß mit sich in den Tod zu nehmen.
    Kurz nachdem Stefan den engsten aller Nebenarme betreten hatte, dessen Wände schräg nach innen geneigt zu sein schienen, anstatt wie in den anderen Schluchten oben auseinanderzuweichen, hörte er ganz in der Nähe einen langen Feuerstoß aus einer MP und hastete verzweifelt weiter. Er stolperte mehrmals,
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