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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman
Autoren: Franz Tumler
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habe er sie gezwungen, zu ihm hinauszugehen, und vielleicht habe er das auch schon früher getan.
    Niemand konnte später sagen, ob Bemelman in seiner Hilflosigkeit dies alles auch wirklich so der Reihe nach im Wirtshaus erzählt, oder ob sich das einzelne aus seinen Andeutungen von selber in seinen Zuhörern so weitergebildet hatte zu dieser Geschichte, die am gleichen Abend noch Herr von Wilnow erfuhr, und zwar von dem Müller, bei dem er jetzt wohnte.
    Der Müller hatte auch im Wirtshaus gesessen und dann war er heimgegangen, ein wenig betrunken, den langen Weg an dem kleinen Haus der Fini vorbei und über die steilen Wiesen zum Bach hinunter und dann immer den Bach entlang bis zum Wehr und am Wehr über die Brücke. Dort hatte er, nachdenklich und schwindlig vom Trinken, in das braunblasige Wasser geschaut und überlegt, was wohl Herr von Wilnow zu dieser Sache sagen würde, oder ob man sie ihm am besten gar nicht erzählte, – eine höchst unwahrscheinliche Geschichte! Aber vielleicht konnte man das dem Herrn gleich, ehe er jemand anderen traf, sagen, das ist wieder einmal Übertreibung und Mißverständnis, man soll es nicht für möglich halten, was die Leute zusammenreden.
    Das Wasser rauschte braunblasig unter der Brücke weg und stürzte silberig über das Wehr, der Müller verspürte Durst, er hatte noch Most zuhause, da wollte er sich einen Krug voll aus dem Keller holen und ihn austrinken mit dem Herrn. Er ging weiter den Waldsteig und den langen Weg, und es dämmerte schon, als er an dem Knick der Schlucht wieder ans Ufer kam und von fernher, hinter den grünen Sonnen der Misteln, den weißen Schornstein über seiner Mühle erblickte.
    Dort saß Axel von Wilnow seit dem Nachmittag auf der Bank vor dem Haus. Ihm zu Füßen lag an einer langen dünnen Kette seine Vorstehhündin Hexe. Sie blickte zu ihrem Herrn auf, und manchmal ruckte sie mit dem Kopf, dann sirrte leise die Kette.
    Axel achtete nicht auf sie. Er war an dem Ort, von dem er zu Susanna gesagt hatte, daß er dort vor sich hinbrüte. Sein Gesicht mit stoppeligen Wangen und kurzem dichten Haar hob sich kaum ab von den wie Gefieder graugesprenkelten Feldsteinen der Mauer. Nur seine Augen glänzten lebendig und weit offen hervor, als wäre er auf einem Anstand.
    Aber das war Gewohnheit. Ein Mann, der einmal Jäger gewesen ist, sieht so vor sich hin, aufmerksam, still. Da war der Mühlkanal, in dem das Wasser glatt vorbeischoß, das Stück Krautgarten, an dessen Zaun die Sonnenblumen nickten, dahinter war das tiefer ausgehöhlte, rauschende Bachbett, und jenseits stieg aus Granitblöcken das Waldufer auf als dunkle Wand und griff mit ein paar zerzausten Fichtenwipfeln hoch in den Himmel. Der Westwind hatte sie gebogen, und daran konnte man ablesen, wo Westen war.
    Axel wunderte sich schon seit Tagen, wie die Landschaft, in der er daheim gewesen war, sich so hatte verwandeln können. Er kannte sie noch immer, aber allmählich schien es ihm, als befinde er sich trotz allem Bekannten an einem Postkarten-Ort und könne sich nicht mehr orientieren.
    Diesen Vergleich hatte er für sich schon ein paarmal gemacht, darin war jene sonderbare Erfahrung, von der er auch zu Susanna gesprochen hatte. Beziehungslosigkeit, so daß er sich vorkam fast wie ein Geist. Was für Erfahrungen, so redete er in der Stille zu sich selbst, einem Menschen, der sich versteckt hält, zeigen sich die Dinge anders als einem, der frei ist. Sie zeigen nicht mehr ihr altes Gesicht, sie erinnern nur noch an das, was sie waren. Sogar die Mühle hier: sie hat mir ja einmal gehört, sie hat mir nie viel eingebracht, darum hatte ich sie auch verpachtet und bin nur manchmal heruntergekommen zur Rast nach einem Pirschgang. Aber das hat alles zusammengehört: der Pirschgang, die Rast, ein Gespräch mit dem Müller. Und auch die Hexe war dabei. Ich bin zuhause gewesen in diesem Zusammenhang. Jetzt gehört nichts mehr zusammen. Wo bin ich jetzt noch zuhause?
    Axel, wie er da an der Mauer saß, Bart, Stein und Gefieder, und nur die Augen hell, sah gar nicht auf den Mühlkanal und den Bach und das Fichtenufer, er blickte auf die Vorstellung dessen, was mit ihm geschah. Er saß da wie ein Mensch, der sich auch an das, was vor ihm gegenwärtig ist, nur noch erinnert. Er hörte nach Jägergewohnheit von drüben die Wildtauben und das Schrecken der Rehe, aber er hob wie die Hexe kaum den Kopf; er lag wie sie an einer Kette: das vergangene Leben und die plötzlich sprachlos gewordene Welt. Aber
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