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Der Schrei des Eisvogels

Der Schrei des Eisvogels

Titel: Der Schrei des Eisvogels
Autoren: Reginald Hill
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hindurchwand.
    Links stand direkt hinter der Einfahrt ein quadratisches, eingeschossiges Gebäude, vermutlich das Pförtnerhaus, dessen eher abweisende Fassade durch Blumenkästen mit Narzissen aufgelockert wurde. Der Fahrer erspähte in einem der Fenster einen Mann, dem er freundlich zunickte. In diesem kurzen Moment, in dem er abgelenkt war, kam ein fünf- oder sechsjähriges Mädchen von rechts aus dem Gebüsch geschossen, stieß gegen sein Vorderrad, prallte zurück und setzte sich auf den Kiesweg.
    »Au, verdammt«, sagte der Fahrer. »Ist dir was passiert, Kleines?«
    Sie legte die Hand vor den Mund und machte ein seltsames Geräusch, das er zuerst für Weinen hielt, bis er begriff, dass sein Opfer kicherte.
    Das Mädchen stand auf, klopfte sich den Schmutz ab und lief leichtfüßig an ihm vorbei zu dem überdachten Eingang des Pförtnerhauses, wo es sich noch einmal umdrehte und ihm zuwinkte.
    Erleichtert blickte er der Kleinen nach, bis er sich unwillkürlich einem schwer zu ortenden Klopfgeräusch zuwandte und in das Gesicht eines uniformierten Polizisten starrte, der mit den Fingerknöcheln gegen den Sturzhelm pochte.
    Korrigiere, nahezu uniformiert. Er trug Uniformjacke und Hose, war aber barhäuptig, so dass sein wildes rotes Haar von einem Windstoß zerzaust wurde. Weder das ernste Gesicht, das er machte, noch der verblassende Bluterguss an seinem rechten Wangenknochen konnten verbergen, wie jung er war.
    Er kam mit dem Gesicht so nah heran, dass das Plastikvisier am Sturzhelm von seinem Atem beschlug. »Können Sie nicht lesen?«, fragte er streng.
    Der Motorradfahrer seufzte, als zum zweiten Mal an diesem Nachmittag seine Lesefähigkeit in Zweifel gezogen wurde.
    »Doch«, sagte er, »kann ich.«
    »Dann wissen Sie wohl auch, dass auf dem Schild da hinten steht: ›Schrittempo‹.«
    »Klar doch, hab ich gesehen und hab ich auch gemacht.«
    »Ach ja?«, sagte der junge Polizist spöttisch.
    Langsam fing er an, das Motorrad zu umkreisen. Er bewegte sich mit natürlicher Anmut, wie ein Mensch, der auf seinen Körper stolz ist, wozu er bei seinen breiten Schultern und der schlanken Taille auch allen Grund hatte, was dem scharfen Auge des Fahrers nicht entging.
    Als er seinen Rundgang beendet hatte, blieb er, den Blick immer noch auf die Maschine fixiert, so als könne er daran mit bloßer Willenskraft einen Mangel heraufbeschwören, abrupt stehen, rammte ihm die linke Hand unter die Nase, schnippte mit dem Finger und sagte: »Ihre Papiere, bitte.«
    Der Motorradfahrer warf einen prüfenden Blick auf die ausgestreckte Hand mit einem halben Dutzend oder mehr Nähten an einer Schnittwunde, die vom Daumenballen über das Handgelenk bis unter den Hemdsärmel reichte. Mit einem zweiten Seufzer zog er den Reißverschluss seines Lederanzugs herunter, langte hinein und holte eine Brieftasche heraus.
    »Gibt es einen besonderen Grund, oder warum wollen Sie meine Papiere sehen?«, fragte er milde.
    Das hübsche Gesicht des Constables wechselte langsam den Ausdruck.
    »Weil ich Sie darum bitte, das ist ein besonderer Grund. Weil ich sie von Ihnen verlange, das ist noch ein besonderer Grund. Sind zwei genug?«
    »Mehr als genug. Solange Sie sie in Ihren Bericht schreiben.«
    »Was ich in meinen Bericht schreibe, geht Sie gar nichts an«, sagte der Constable.
    »So, meinen Sie? Hier«, sagte der Motorradfahrer. Er reichte dem Polizisten die Papiere, die er aus der Brieftasche gezogen hatte, und nahm dann bedächtig seinen Helm ab.
    Wie einer, der die Abschiedszeilen seiner Freundin nicht wahrhaben will, blickte der junge Mann von den Dokumenten zu dem Fahrer, dann wieder auf die Dokumente.
    »Ach du Scheiße«, rutschte es ihm heraus. »Hätten Sie mir aber auch sagen können.«
    Und Detective-Sergeant Wield sagte: »Offenbar muss man sich in dieser Gegend ausweisen, um höflich behandelt zu werden, oder?«
    »Ja, ich meine, nein, natürlich nicht, man muss in dieser Gegend nur ein wachsames Auge auf Fremde haben …«
    Er ist noch ein halbes Kind, dachte Wield, als er sah, wie das Gesicht seines Untergebenen beinahe die feuerrote Farbe des windzerzausten Haars annahm.
    »Also, Fremde machen Ihnen Sorgen?«, fragte er unvermittelt. »Ich vermute, dass Sie um Ostern herum noch viel mehr Grund zur Sorge haben werden, und nach diesem Schild da zu urteilen, werden auch ein paar sehr befremdliche Fremde darunter sein. Haben Sie eine Mütze, mein Junge?«
    »Klar, tut mir leid, Sarge, sie ist da hinten …im
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