Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Geheimnisse»,[ 25 ] immerhin sechshundert Jahre nach Mohammed, aber nur achthundert Jahre vor Kafka, wie Ulrich Holbein die Verhältnisse zurechtrückt.[ 26 ] Keineswegs nur im «Buch der Leiden» ist die Öffnung, auf die Attar hinstrebt, realiter verschlossen. «Die Vogelgespräche» verbreiten in ihrer Gesamtheit mehr Optimismus, am Ende jedoch ernüchtern sie mit dem gleichen Fazit:
Einen Nutzen vom Leben hab’ ich nicht gehabt.
          Nichtig all mein Schaffen und Reden.
Niemand hilft mir, nirgends ein Freund.
          Das Leben vergeudet, gelungen nichts.
Als ich noch konnte, wußt’ ich nicht wofür,
          Und als ich es wußte, konnt’ ich nicht mehr,
Jetzt weiß ich kein Mittel mehr,
          Weiß nur von Ohnmacht und Jammer.[ 27 ]
    So geht es auch im Epilog der «Vogelgespräche» mit Geschichten und Selbstauskünften nicht weniger bitter weiter als im «Buch der Leiden»:
Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre,
          Wo ich bin, welcher, wer.
Krank am Leib, ohne Glück, mit nichts in der Hand,
          Ohne Besitz, ohne Ruh’, ohne Herz,
Ein Leben hab ich zugebracht im Blut der Leber,
          Ein Leben, darin kein Nutzen war.
Alles Tun war mir eine Strafe.
          Entweichen will nun meine Seele.
Aus der Hand geglitten das Herz, den Glauben verloren.
          Nicht mein Äußeres mir geblieben, nicht was darin.
Weder Ketzer bin ich noch Muslim.
          Stehe verwirrt zwischen beiden.
Weder Muslim noch Ketzer, was soll ich nur tun?
          Verloren, bedrängt, was soll ich nur tun?[ 28 ]
    Und auch das früheste der drei Epen Attars, «Das Buch Gottes», schließt trostlos:
Ich habe nichts auf der Welt als Todesangst,
          Der Dolmetsch bin ich meines Schmerzes.
Kein Heil habe ich in meinem Leben geseh’n,
          Schaden viel, aber keinen Nutzen erfahr’n.
Mein Leben könnt’ mich nur dann erfreu’n
          Sobald ich’s endlich beenden dürft’.[ 29 ]
    Worauf Attar diese Geschichte erzählt: Ein armer Vagabund bittet einen Ladenbesitzer um eine milde Gabe. Der Ladenbesitzer erweist sich als Sadist:
    – Solange du dir keine Wunde beibringst, gebe ich dir nichts. Wenn du dich verwundest, so magst du Geld von mir erbitten.
    Da entblößt der Bettler seinen Leib und spricht:
    – Schau hin! Wenn du auf meinem Leib eine heile Stelle findest, so zeig sie mir, damit ich dort eine Wunde schlagen kann; denn ich weiß zwischen Scheitel und Sohle keine Stelle ohne hundert Wunden! Drum rück schon was raus.[ 30 ]
    Ich bin, fährt Attar fort, wie jener Bettler; keine Stelle an meinem Leib ist ohne hundert Wunden.
    Die Idee der Erfüllung ist also keineswegs nur im «Buch der Leiden», sondern spätestens im Epilog auch seiner anderen Epen auf den kleinstmöglichen Rest zusammengeschmolzen: Es muß etwas anderes geben – denn anders könnte das Bewußtsein «gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt», wie es Adorno sagt.[ 31 ] Die Menschen in Attars Welt haben eine Ahnung von der Seligkeit, sie wissen, wo sie zu finden wäre, in Gott nämlich, und das bedeutet: in uns selbst. Aber sie finden ihr Glück nicht – sie prallen immer nur an den Felsen ab oder sind, um ein Bild aus dem «Buch der Leiden» zu nehmen, wie der Faden, der nicht in die Öse gehen will. Es gibt die Öse, sie paßte vollkommen, aber der Faden will einfach nicht hinein, er gleitet ab, er franst aus, und je ungestümer der Faden die Öse bestürmt, desto rascher löst er sich auf (0, 10).
    Eine Königstochter verschüttet einen Sack mit Hirse und gibt ihrem Freier auf, jedes einzelne Korn mit einer Nadel aufzulesen. Von da an kriecht der arme Mann den Rest seines Lebens auf dem Boden, ohne die Nadel auch nur in ein einziges Korn stecken zu können (12/6, 152).
    Es gibt Gott, allein, nur finden kann man ihn nicht. Ein Mann trifft einen Verrückten, der in Blut und Staub liegt, verwirrt und verstört.
    – Du armseliger Narr, was tust du hier bei Tag und bei Nacht?
    – Gottsucher bin ich bei Tag und bei Nacht.
    – Auch ich suche Gott.
    – Dann setz dich wie ich fünfzig Jahre lang in Blut. Trink es, das Blut, und wenn du getrunken hast, reich mir den Becher, damit auch ich trinke, bis das Meer oder wenn nicht das Meer, dann wenigstens
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher