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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen
Autoren: Daniele Varè
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—, ausräumen zu lassen. Ein Teil von Signor Cantes Möbeln wurde aus dem zum Abbruch bestimmten Haus herübergeschafft und Kuniang bis auf weiteres hier untergebracht.
    Hierauf sah ich sie eine Zeitlang weniger als früher. Offenbar ging sie mir aus dem Weg, weil sie Angst hatte, lästig zu fallen. Mein Koch sorgte für ihre Mahlzeiten, und ich beauftragte Unvergleichliche Tugend, mich zu verständigen, wenn sie etwas brauchen sollte. Von Signor Cante erhielt ich einen dankerfüllten Brief: er schrieb, daß er vorläufig nicht nach Peking zurückkommen könne, aber so bald wie möglich alles Nötige veranlassen werde, um Kuniang zu ihren Verwandten nach Italien zu schicken. Anscheinend beabsichtigte er nicht, in Peking eine andere Wohnung zu nehmen. Sein Beruf hielt ihn die meiste Zeit fern, und nach dem Tod der Frau hatte er niemanden, der ihm die Sorge um das Kind abnahm.
     
    Der Abbruch des roten Hauses dauerte länger, als ich dachte, vermutlich deshalb, weil die Arbeit durch schwere Regengüsse aufgehalten wurde. Eines Tages hielt ich im Vorbeireiten mein Pferd an, um mit Ah-ting-fu zu sprechen, der eben dabei war, die wenigen übriggebliebenen Einrichtungsgegenstände seines alten Ladens fortzuschaffen. Ich fragte ihn, wo er den neuen Laden aufzumachen gedenke. Da sagte er, er wolle sich mit seinem Bruder zusammentun, der ein Geschäft in der Hata-Mên-Straße besitze. In diesem Moment fiel mein Blick auf das Schild mit der sonderbaren Aufschrift, j Ich erkundigte mich bei Ah-ting-fu, was er damit machen wolle. Er wußte es nicht und fügte hinzu: «Himmlische Hosen in Hata Mên — geht nicht.»
    Das arme alte Schild tat mir leid. Ich hatte so oft darüber lachen müssen, wenn ich an dem roten Haus vorbeikam.
    «Ich gebe Ihnen einen Dollar dafür, wenn Sie wollen», schlug ich vor.
    Ah-ting-fu machte ein erstauntes Gesicht und erwiderte höflich, wenn Master wirklich das Schild haben wolle, würde Master ihm doch hoffentlich die Ehre erweisen, es als Geschenk anzunehmen. Ich wußte zwar, daß die Annahme dieses Angebots zu guter Letzt bestimmt mehr kosten würde — denn nach dem Gesetz chinesischer Etikette war ich in diesem Fall gezwungen, in Ah-ting-fus neuem Laden einige neue Anzüge zu bestellen —, erklärte mich aber nichtsdestoweniger einverstanden. Das Schild wurde heruntergeholt und in einer Rikscha verstaut, die mir nun auf dem Heimweg folgte.
    Als ich zum Eingang meines Hauses kam, stand der Tingchai in der Tür. Ich bedeutete ihm, er möge die Holztafel aus der Rikscha holen. Er tat es, nahm sie unter den Arm und ging hinter mir drein, während ich Kuniang suchte.
    Wir fanden sie vor der Küchentür, wo sie eben aus einem Schüsselchen Reis mit kleingehacktem Schweinefleisch aß. Sie hockte auf der Erde wie eine Chinesin und gebrauchte Eßstäbchen, die sie mit großer Geschicklichkeit handhabte. Der Kleine Lu saß neben ihr, in die gleiche Beschäftigung vertieft. Eine winzige Schale mit Sojabohnensoße stand auf der Stufe unterhalb der Küchentür und lieferte die nötige Würze. Kuniang und der Kleine Lu tauchten ihre Eßstäbchen hinein, ehe sie die Häufchen Reis und Fleisch in den Mund schoben.
    «Wirst du dir damit nicht das Mittagessen verderben?» fragte ich, als ich vor ihr stand.
    «Das ist mein Mittagessen», erklärte Kuniang. «Bis ich mit dieser Schale fertig bin, bekomme ich noch ein paar , und dann geh ich Papa besuchen. Er ist eben in Peking angekommen und wohnt bei der russischen Familie.»
    Ich war über die Entdeckung, wie Kuniangs Mahlzeiten aussahen, ein bißchen niedergeschlagen. Sie hätte nie mit mir gegessen, schon darum nicht, weil ich mir meine Mahlzeiten nicht zu geregelten Stunden servieren lasse, sondern wenn ich gerade Hunger verspüre (so sind nun einmal die Gewohnheiten eines Junggesellen in China). Und diese Unregelmäßigkeit ist nichts für ein Kind, das die Schule besuchen und zu einer vernünftigen Zeit schlafen gehen muß.
    Inzwischen hatte Kuniang erkannt, was der Tingchai schleppte.
    «Nein!» rief sie, «das ist ja Ah-ting-fus Schild.»
    «Natürlich. Er kann es nicht mehr verwenden, denn er ist Teilhaber eines großen Ladens in der Hata Mên geworden. Deshalb hat er es uns geschenkt. Ich habe mir gedacht, daß du es vielleicht irgendwo aufmachen kannst. Vielleicht fühlst du dich mehr zu Hause, wenn du es draußen auf deinem Wohnhaus siehst, genau so wie früher.»
    Kuniang schien sich über diesen Einfall zu freuen, und ich befahl dem
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