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Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)

Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Autoren: Martin Conrath
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dann versiegte der Reiz, denn es gibt nichts, das nicht schon von irgendjemandemgesammelt wird, und immer ist irgendjemand besser. Ich habe exotische Pflanzen gesammelt. Und dann kam so ein oberschlauer Botaniker daher und versetzte meiner Sammlung mit einer neuen Orchideenart, die er im brasilianischen Urwald gefunden hatte, den Todesstoß. Aber wie zum Teufel soll ich dort nach Pflanzen suchen? Ich muss meine Arbeit tun, ich kann nicht einfach weg, ich habe eine Familie, ich muss die Raten für das Haus zahlen. Das alles geht mir so auf die Nerven!
    Ich habe Nazikram gesammelt, aber schnell wieder aufgegeben, als ich merkte, dass es mindestens fünfzig Sammlungen alleine in Deutschland gibt, an deren Qualität und Quantität meine nie heranreichen würde. Fossilien, Spielzeugautos, Schmetterlinge, ach je, Schmetterlinge, ein hoffnungsloses Unterfangen, wie naiv ich war, als ich allen Ernstes versuchte, mit einer Schmetterlingssammlung zu punkten. Eines Nachts kam mir dann die geniale Idee: Radkappen. Aber nur solche, die man am Straßenrand findet. Jetzt weiß ich, warum das keinen Sinn macht, warum es kaum Radkappen gibt, die am Straßenrand liegen. Wieder waren andere schneller.
    Ich war der Verzweiflung nahe, als ich an einem Sonntag zufällig an einem Kinderspielplatz vorbeikam. Kinder spielten, tollten herum, fielen hin, prügelten sich, Eltern prügelten ihre Kinder, und alle Kinder hatten etwas Gemeinsames, das sie gleichzeitig voneinander unterschied wie Fingerabdrücke: Schmerzensschreie. Warum war mir das bei meinen Töchtern nicht aufgefallen? Auf jeden Fall war es die rettende Idee, sonst hätte ich mir wohl das Leben genommen. Seit diesem Tag habe ich wieder ein Leben, das sich zu leben lohnt.‹«
    Fran und Senior fehlten die Worte.
    »Da ist noch etwas«, sagte Herz.
    Er richtete die Kamera aus. Ein Kassettenrekorder kam in Sicht, dann sein Arm, der in einem weißen Schutzanzugsteckte, und eine Hand von Herz, verhüllt von einem Latexhandschuh.
    »Es ist ein batteriebetriebenes Gerät.«
    »Schalt es ein«, sagte Fran.
    »Aber es ist uralt   …«, erwiderte Herz.
    »Kaldenbach wusste, dass wir es finden würden. Es ist betriebsbereit, jede Wette. Schalt es ein.«
    Herz drückte die Wiedergabetaste. Es knackte leise, das Band setzte sich in Bewegung, aus den eingebauten Lautsprechern schoss ein jämmerliches Fiepen. Es riss ab, machte einem schmatzenden Geräusch Platz, das sie nicht einordnen konnten. Doch was dann kam, das kannten sie nur zu gut: Eine gefolterte menschliche Seele machte ihrem Schmerz Luft und schrie ihr Leid hinaus in die Welt.
    *
    Er war ihnen anscheinend entwischt, obwohl er das gar nicht beabsichtigt hatte. Es war ihm egal, ob ihn die Bullen beobachteten oder nicht. Er hatte nicht vor, irgendetwas Illegales zu tun. Er wollte nur herausfinden, wer sein Halbbruder war, und deswegen würde er mit der Frau reden, die ihn geboren hatte. Sie hieß Josephina Fragenbergensen, so hatte es im Tagebuch seines Vaters gestanden, und trotz des ungewöhnlichen Namens hatte er fast zwei Stunden gebraucht, um herauszufinden, dass sie in einem Altersheim im Stadtteil Barmbek lebte, das von Nonnen geleitet wurde. Schlimmer hätte er es kaum erwischen können, er hasste Nonnen, die Symbol waren für alles Lebensfeindliche dieser Welt. Aber er hatte ein Ziel, eine Aufgabe.
    Also setzte er eine harmlose Miene auf und trat an die Rezeption, hinter der einer dieser Pinguine saß. Die Frau blickteauf, sie mochte um die fünfzig Jahre alt sein, und lächelte Lars an.
    Er lächelte zurück. »Ich bin Lars Rüttgen. Ich komme aus Düsseldorf und möchte Josephina Fragenbergensen besuchen. Sie ist die Mutter meines Halbbruders, und ich möchte von ihr erfahren, wo mein Bruder ist, und vor allem, wer er ist.«
    Die Nonne schaute Lars einen Moment überrascht an. »Josephina Fragenbergensen. Ich wusste nicht, dass sie einen Sohn hatte. Können Sie das beweisen?«
    Lars kramte das Tagebuch hervor, drückte es der Nonne in die Hand und zeigte auf eine Seite.
    »Lesen Sie. Dann wissen Sie Bescheid.«
    Die Nonne zögerte, Lars lächelte weiter, nahm seinen Rucksack und trat einen Schritt zurück. Seine Taktik ging auf. Er sah der Nonne an der Nasenspitze an, dass sie vor Neugier fast platzte.
    Sie begann zu lesen, ihr Gesicht wurde immer ernster, sie senkte das Buch, deutete zuerst auf Lars, dann wieder auf das Buch. »Darf ich?«
    Lars nickte, die Nonne setzte sich und vertiefte sich in die Zeilen, die sein
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