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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Autoren: A. J. Kazinski
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und sich in den Wagen setzte. Von hier oben sah er winzig klein aus. Die Sonne reflektierte auf dem Autodach. Sie blendete so sehr, dass sie wegsehen musste.

12.
    Polizeipräsidium Kopenhagen, 09.45 Uhr
    »Bentzon!« Leons Stimme schallte ihm wie eine rostige Motorsäge entgegen, als er aus dem Auto stieg. »Was für ein Abend gestern.« Er wollte Niels auf den Rücken klopfen, aber Niels drehte sich um und tat so, als hätte er vergessen, das Auto abzuschließen. Leon wartete auf ihn.
    »Konnte sie identifiziert werden?«, fragte Niels.
    »Ich tippe ja auf Rumänien. Oder die Ukraine.«
    Sie gingen zusammen ins Präsidium. Niels versuchte ganz bewusst, zurückzubleiben, aber Leon bestand darauf, gemeinsam mit ihm zu gehen; ein Truppführer und ein kleiner Pfadfinder. Würden seine Kollegen ihn von heute an mit anderen Augen sehen?, fragte Niels sich. Als jemanden, der verloren hatte? Dem ein Menschenleben durch die Finger geglitten war wie ein Glas Wein auf der Terrasse eines Cafés? Niels schirmte die Sonne mit der flachen Hand ab. Der frische Asphalt des Parkplatzes fühlte sich weich und kochend an. So ist das mit den Sommern in diesem Land, dachte er. Dänemark kann mit Wärme nicht umgehen. Es gibt keine Klimaanlagen, die Leute kriegen sofort Sonnenbrand und hohes Fieber oder eine Schniefnase, wenn sie vor die Tür gehen. Ein paar Tage Wärme, und schon dümpelten die Algen in der Schicht Sonnenschutzmittel, das das Meer längst von den blassen, sonnenverängstigten Kinderkörpern gespült hat.
    »Guten Morgen«, sagte Niels und nickte der Sekretärin zu.
    »Guten Morgen. Haben Sie heute nicht frei?«
    Niels brummte eine unverständliche Antwort und ging schnell weiter. Er übte sich darin, ihre Laune nicht wahrzunehmen, nicht die ganze Zeit zu spüren, wie es den Menschen um ihn herum ging. Er wollte die kleinen Zeichen nicht sehen. Die Körperspra che, den Grad des Entgegenkommens, die zu langen oder zu kur zen Blicke. Als eine der Sekretärinnen neulich geschieden wurde, war das für Niels keine Überraschung gewesen. Ihr Nagellack und ihr Lippenstift hatten ihm das längst verraten. Sie waren schon eine ganze Weile etwas kräftiger. Als wollte sie signalisieren, noch immer einen Blick wert zu sein, auch wenn ihr Mann zu Hause das anders sah.
    Niels schloss die Augen, als er im Büro stand. Wenn er doch nur einen Moment freibekommen könnte! Frei davon, Menschen zu fühlen . Er verrichtete die üblichen Morgenrituale: Tasche in die Ecke stellen, Jacke an den Garderobenhaken hängen, Computer einschalten und einen Moment ans Fenster treten und nach draußen schauen, statt seine Schuld in den Blicken der anderen zu suchen. Ein Flugzeug zog einen langen weißen Streifen über den Himmel, und Niels träumte ganz kurz davon, über den weißen Strich zu spazieren, oben am Himmel, und altklug herunterzurufen: »Ja, ich habe sie verloren, aber seht her zu mir! Seht, wie ich gehe, wie ich euch verlasse, den Himmel abschreitend.« Er schüttelte den Kopf und riss sich zusammen, drehte sich langsam um und ließ seinen Blick durch das Großraumbüro schweifen. Niemand sah ihn an, alles war wie immer. Er logg te sich in das Computernetz ein und brauchte zehn Minuten, um sich die Bilddateien der osteuropäischen Prostituierten anzuschauen, ohne eine Frau zu finden, die ihr auch nur entfernt ähnlich sah. Keine hatte eine solche Haut wie die Frau, die gesprungen war. So weiß und rein und glatt. Und ihnen fehlte auch die stilvolle Arroganz, die kühle Selbstsicherheit, die sie noch in den letzten Sekunden ihres Lebens gezeigt hatte. Außerdem hatten sie kein Tattoo auf dem Handrücken. In zwei Punkten glichen sich all diese Prostituierten: Brüste und Lippen waren voluminös und sahen aus, als wären sie mit einer Fahrradpumpe aufgeblasen worden. Ein billiger Eingriff in einer Klinik in Kiew und dann ab mit ihnen in den Westen. Die Frau, die gestern gesprungen war, wirkte dagegen fast schon flachbrüstig. Und ihre Lippen waren fein und schmal gewesen – nur ein Strich, eine Skizze. Als wäre sie nie wirklich erwachsen geworden. Diese Frau war kein Callgirl.
    Dann springe ich auch .
    Niels brauchte fünf Minuten, um auf dem Organigramm die richtige Telefonnummer in der IT -Abteilung zu finden. Er rief an. Das Telefon wurde abgenommen und fallen gelassen. Niels hielt den Hörer ein Stück weg, während am anderen Ende laut herumgekramt wurde.
    »Hallo?«
    »Hier ist Casper. Und ich habe frei. Ich weiß überhaupt nicht,
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