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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman
Autoren: Michael Saur
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dem Moment durch den Kopf. Ich überlegte, Hall gehen zu lassen im Austausch für einen anderen – irgendeinen anderen – Verteidiger, der in der Lage war, die Situation auch nur ein klein wenig rosiger zu sehen.
    »Sehen Sie, Shelby, ich erzähl Ihnen das alles nicht, um Ihnen Angst zu machen. Aber es hat keinen Sinn, den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen. Sie sollten das alles ohnehin wissen, da Sie mir wie ein intelligenter Mensch vorkommen. Es ist schon eine tolle Sache in unserem System, dass die Verteidigung das letzte Wort hat – aber wissen Sie was? Das ist nichts wert im Vergleich dazu, der Erste zu sein. Es ist nichts verglichen damit, derjenige zu sein, der die ersten Teile eines Falls zusammenklaubt und zu einem Paket schnürt. Ich kann Ihnen eines versichern, und Sie können davon halten, was Sie wollen: Ich glaube nicht, dass Sie es getan haben, ich denke nicht, dass Sie das Mädchen umgebracht haben. Aber ich muss Ihnen auch sagen, dass wir nur zwei Möglichkeiten haben: mit einer Geschichte aufwarten, die die Geschworenen anspricht. Wenn wir das nicht haben, müssen wir sein Spiel mitspielen. Wir können es uns nicht leisten, die Geschworenen aufzubringen, indem wir Greta angreifen. Dazu ist es zu spät. Sie sagen mir, Greta hat es getan, und dass ihr Vater eingesprungen ist, um sie zu beschützen, indem er eine erfundene Figur beschuldigte. Nun, nicht wirklich ausgedacht, wie Sie sagen, jemand der echt oder nicht echt sein mag. Ich sagte ja schon, ich hab keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben, und darum glaube ich Ihnen, aber sie merken selber, die Geschichte greift nicht. Doch wir haben keine Beweise, um diese Behauptung zu unterstützen. Jeder, der Ihre Geschichte unterstützen könnte, ist vor diesem Gericht nichts wert oder nicht mehr am Leben. Und auf der anderen Seite, wenn ich das Mädchen ansehe, mir ihre Aussage anhöre, was wir haben, kann dem nicht das Wasser reichen. Wissen Sie warum?«
    Er machte eine Pause, und es dauerte einige Sekunden, bis ich verstand, dass das eine echte Frage war.
    »Warum?«
    »Sie sieht ja um Himmels willen fast wie das tote Mädchen aus. Jeder hat das bemerkt, ich meine, verdammt noch mal, sie sehen fast gleich aus. Es ist beinahe so, als säße diese Priscilla im Zeugenstand. Das kann man nicht schlagen. Schauen Sie, Shelby, wir kommen an eine gefährliche Kreuzung. Die Hauptzeugin der Anklage ist das überlebende Opfer, das Sie klar als den Entführer identifiziert, selbst wenn sie darlegt, den eigentlichen Mord nicht gesehen zu haben. Die Geschichte des Mädchens ist wasserdicht, in der Aussage des Mädchens sitzt alles, und die Geschworenen werden am Ende völlig eingewickelt sein, glauben Sie mir. Es wird sich einfach in ihren Köpfen festsetzen. Ihnen gefällt, was sie hören. Die haben keinen Grund, es zu hinterfragen. Jedes Publikum ist hinter nichts anderem her als der reibungslosesten aller Geschichten.«
    »Aber was können wir tun?«, fragte ich Hall.
    »Sie sollten noch mal darüber nachdenken, auf schuldig zu plädieren, einen Handel mit der Staatsanwaltschaft einzugehen. Ich denke, es ist Ihre letzte und einzige Chance. Es wird Sie Ihre Freiheit kosten. Aber Sie bleiben am Leben«, sagte Hall.

-2-
    M ein Anwalt hatte das Schuldbekenntnis bereits ausgearbeitet, als er mir seine Meinung offenbarte. Es bedurfte keiner großen Vorbereitungen mehr, um es nach dem dritten Tag der Anhörungen der Staatsanwaltschaft und dem Richter zu präsentieren. Er hielt es für richig, so lange zu warten. Alles andere würde zu eilfertig wirken, meinte er. In der Zwischenzeit hatte Richter Lorimer sich von den Medien breitschlagen lassen und in einer Ecke des Gerichtssaals Kameras zugelassen, so positioniert, dass sie David Amos vor sich hatten. Journalisten aus Frankreich, Deutschland und Japan, Länder, in denen Amos erfolgreich war, waren angereist und verliehen dem Gerichtssaal in den Pausen den Charakter eines Duty-free-Shops. Einige Male sah ich, wie sich Zeitungsreporter ihm näherten. Normalerweise wimmelte er die Reporter freundlich, aber bestimmt ab.
    Am Nachmittag des zweiten Tages studierte ich einige Papiere, die mit meinem Schuldbekenntnis zu tun hatten, als mich etwas aufblicken und meinen Kopf wenden ließ. Meine Augen trafen einen Mann, der von seinem Platz auf einer der Bänke den Gang hinunterging. Er lief mit dem eigenartig verzögerten Schwung eines Klumpfußes. Ich folgte ihm mit den Augen. Am nächsten Morgen, nachdem Richter Lorimer die
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