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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal
Autoren: Frederick Forsyth
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Zuchthaus, aber im Falle Bastien-Thirys blieb es bei der erkannten Strafe.
    Noch in der Nacht wurde der Oberstleutnant der Luftwaffe von seinem Anwalt über die Entscheidung des Präsidenten unterrichtet. »Das Datum ist auf den 11. März festgesetzt«, sagte der Anwalt seinem Klienten, und als dieser weiterhin ungläubig lächelte, platzte es aus ihm heraus: »Man wird Sie erschießen!« Bastien-Thiry schüttelte den Kopf.
    »Sie verstehen das nicht«, sagte er dem Anwalt. »Kein französisches Erschießungskommando wird seine Karabiner auf mich in Anschlag bringen.«
    Er täuschte sich. Die Hinrichtung wurde in den 8-Uhr-Nachrichten über Radio Europa Eins in französischer Sprache bekanntgegeben. In den meisten europäischen Ländern konnte die Meldung gehört werden. In einem kleinen Hotelzimmer in Österreich setzte sie eine Kette von Überlegungen und Aktionen in Gang, die General de Gaulle in größere Lebensgefahr bringen sollte als je zuvor in seiner gesamten militärischen und politischen Laufbahn.

ZWEITES KAPITEL
    Marc Rodin knipste sein Transistorradio aus und erhob sich vom Tisch, auf dem das Frühstück fast unberührt geblieben war. Er ging zum Fenster hinüber, zündete sich eine weitere Zigarette an und starrte auf die Landschaft hinaus. Der spät einsetzende Frühling hatte die Schneedecke noch nicht aufzutauen vermocht.
    »Hunde.« Er stieß das Wort leise und voller Haß aus. Rodin war in jeder Weise das völlige Gegenteil seines Vorgängers. Hochgewachsen und mager, mit einem vom Haß ausgezehrten, totenähnlichen Gesicht, pflegte er seine Gefühlsregungen für gewöhnlich hinter der Maske einer ganz ungallischen Kälte zu verbergen. Ihm hatten die Tore der Ecole Polytechnique, deren Absolvierung seiner Beförderung dienlich gewesen wäre, nicht offengestanden. Der Sohn eines Schusters war noch keine zwanzig gewesen, als er in den Tagen, da die Deutschen Frankreich überrannten, in einem Fischerboot nach England entkam, um sich dort als einfacher Soldat freiwillig zum Dienst unter dem Zeichen des Lothringer Kreuzes zu melden. Die Beförderung zum Sergeanten und später zum Feldwebelleutnant hatte er sich in den blutigen Schlachten von Nordafrika unter Koenig und in der Normandie unter Leclerc verdient. Die Offizierslitzen, die er nach Herkunft und Erziehung nie erhalten hätte, verdankte er seiner im Kampf um Paris bewiesenen Tapferkeit vor dem Feind, und nach dem Krieg hatte er vor der Wahl gestanden, in das Zivilleben zurückzukehren oder in der Armee zu verbleiben.
    Aber auf welchen Beruf hätte er zurückgreifen sollen? Er verstand sich auf nichts anderes als das Schusterhandwerk, das er von seinem Vater erlernt hatte; zudem erkannte er, daß die werktätige Klasse seines Landes von den Kommunisten, die bereits die Résistance und die innerfranzösische Bewegung des Freien Frankreich kontrollierten, weitgehend beherrscht wurde. Er blieb daher in der Armee, um in den folgenden Jahren als aus dem Mannschaftsstand hervorgegangener Offizier eine neue Generation gebildeter Jungen die Kriegsschulen absolvieren und sich die gleichen Offizierstressen beim theoretischen Unterricht im Klassenzimmer verdienen zu sehen, für die er hatte Blut und Wasser schwitzen müssen. Daß sie rascher als er befördert und ihm auch sonst vorgezogen wurden, verbitterte ihn.
    Ihm blieb nur übrig, sich in ein Kolonialregiment versetzen zu lassen, zu den Haudegen und Rabauken, die das Kriegführen besorgten, während die aus Wehrpflichtigen rekrutierten Einheiten auf den Exerzierplätzen paradierten.
    Innerhalb eines Jahres nach seiner Abkommandierung zur kolonialen Fallschirmtruppe in Indochina war er Kompanieführer geworden; er lebte unter Männern, die so dachten und sprachen wie er. Auch dem Sohn eines Schusters konnten Beförderungen winken - nach Fronteinsatz und abermaligem Fronteinsatz. Als der Krieg in Indochina zu Ende ging, war er Major, und nach einem unglücklichen und enttäuschenden Jahr in Frankreich wurde er nach Algerien geschickt.
    Der französische Rückzug aus Indochina und das in Frankreich verbrachte Jahr hatten seine latente Bitterkeit in einen verzehrenden Haß auf alle Politiker und Kommunisten - was für ihn ein und dasselbe war - verwandelt. Nur ein Frankreich, das von Soldaten geführt wurde, konnte für immer aus dem Würgegriff der Verräter und Speichellecker, die das öffentliche Leben beherrschten, befreit werden. Und nur in der Armee hatte diese Brut nichts zu melden. Wie die meisten
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