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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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japanische Flagge wehte; er wählte sie, weil sie Kurs auf die USA nahm und er dort an Land gehen wollte, um sich alles selbst anzusehen, die Cowboys und die Nutten und die wilden Indianer, vielleicht würde er in einem schneeweißen, geräumigen Ranchhaus sogar seinen Vater finden und mit ihm ein paar Cheeseburger verspeisen. Und so wurde Hiro Dritter Koch anstatt der Offizier, der er geworden wäre, wenn sie ihn die Handelsmarineschule hätten beenden lassen, musste die Unflätigkeiten von Chiba und Unagi und all den anderen ertragen – sogar hier, sogar auf See war er davor nicht sicher –, und so handelte er nach Mishima und Jōchō, schlug seine Feinde und landete dafür gedemütigt in der Arrestzelle, wo er mit dem Knurren und Flehen seines leeren Magens und zwei Bällchen Reis pro Tag leben musste.
    In seiner Not dachte er Tag und Nacht an Essen, schwelgte darin, träumte davon, verherrlichte es. Am Tag seiner Flucht erträumte er sich ein Frühstück: eine miso -Suppe mit Auberginen und Sojabohnenquark, gedünstetem Rettich, rohen Zwiebeln, Senfreis. Und Mittagessen – nicht den westlichen Fraß, den Chiba zusammenbraute, um damit anzugeben, dass er einmal auf einem Frachter aus Tacoma/Washington gefahren war, sondern ein Gericht aus Eiern und Reis – tamago meishi –, das seine Großmutter ihm immer bereitet hatte, wenn er aus der Schule gekommen war, oder die süßen Plätzchen aus Bohnenmasse und Gerste, die sie ihm oft beim Bäcker gekauft hatte, oder die köstlichen sōmen -Nudeln, von denen sie in ihrem eisernen Topf riesige Mengen herumrührte. Von diesen Nudeln träumend, starrte er mürrisch auf die an den Wänden hängenden Mops, als er die schweren Schritte seines Wärters auf den Stufen der Kajütstreppe hörte.
    Sie näherten sich dem Hafen von Savannah, und Hiro wusste, dass er sehr bald handeln musste. Tagelang hatte er sich in den Weg des Samurai vertieft und die Worte von Mishima und Jōchō auswendig gelernt, und nun war er bereit. Das Buch – mit den komischen, kleinen grünen Geldscheinen und dem Foto seines Vaters sicher zwischen den Seiten verstaut – klebte in dem Plastik-Uterus an ihm, mit Tentakeln aus schwarzem Isolierband, das ihm sein Freund Ajioka-san in der Nacht zugesteckt hatte. In den Händen hielt er einen festen Mopp aus Eichenholz, dessen Fransen schwer mit dem Wasser vollgesogen waren, das sie ihm zum Waschen gegeben hatten.
    Die müden, schlurfenden, fußlahmen Schritte von Noboru Kuroda, dem Tölpel, der den Offizieren das Quartier scheuerte und sie bei Tisch bediente, verstummten vor seiner Tür. Hiro trat zurück, sah im Geist die schiefen Schultern und den eingefallenen Brustkorb vor sich, die zwei linken Hände und die ewig verdutzte Miene von »Moment-noch«, wie sie den alten Kuroda hinter seinem Rücken nannten, und er lauerte atemlos, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Wie im Fieber sah er zu, wie sich der Türknopf drehte und die Tür aufschwang, und dann griff er an, den Mopp eingelegt wie eine Lanze. Gleich darauf war alles vorbei. Kurodas müder alter Kiefer klappte vor Überraschung auf, der nasse Mopp traf ihn mitten in den Solarplexus, und er stürzte auf das zerschlissene Linoleum, keuchend und prustend wie ein der schläfrigen Tiefe entrissener Thunfisch. Hiro bedauerte kurz den Verlust der Reisbällchen, die nun an Kurodas Hemd klebten, doch für Reue war jetzt keine Zeit. Behände stieg er über den stöhnenden Alten und stürmte hastig die Kajütstreppe hinauf, denn in seinen Adern pochte die Freiheit.
    Unter ihm, auf dem zweiten Deck, saß die Mannschaft beim Essen, beäugte kritisch die Teller und pickte aus der Mixtur aus Dosenfleisch, Eiern und Kartoffeln, mit der Chiba sie gestraft hatte, mühsam einzelne Sardinenstückchen heraus. Über ihm waren die Schiffsaufbauten: Auf dem vierten Deck lagen das Dienstzimmer und die Räume mit der Elektrik und dem Kreiselkompass, auf dem fünften der Funkraum, auf dem sechsten die Kapitänskajüte, wo Kapitän Nishizawa auch jetzt wieder seinen Sake-Rausch ausschlief, und schließlich kam die Brücke. Vor der Brücke ragten die beiden Nocks in die luftige Leere hinaus, hingen wie ausgebreitete Schwingen beiderseits des Schiffes über dem Wasser. Eigentlich waren es Laufstege, die von unten durch Stahlstreben gestützt wurden; von dort konnte man an klaren Tagen zehn Meilen weit sehen. Diese Stege waren Hiros Ziel.
    Polternd rannte er die Treppe hinauf, am Dienstzimmer vorbei und weiter, vorbei
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