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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde
Autoren: Jutta Beyrichen
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scharrte ungeduldig mit den Hufen.
    Ethan blickte sich zu dem braunen Wallach um, der mit hängenden Zügeln in einiger Entfernung stand und mit dem Schweif die Fliegen fortscheuchte. Sonny schaute ihn mit gespitzten Ohren an, schnaubte abermals und schüttelte den Hals, dass die Trense klirrte.
    »Ist ja gut, Junge, wir reiten ja gleich weiter.« Ethan erhob sich vom Felsen und klopfte sich die Hose ab. Sonny besaß mehr Geduld als viele Menschen, deshalb wollte Ethan diese auch nicht über Gebühr strapazieren.
    Er trat zu dem Pferd und strich ihm über die weichen Nüstern. Sonny prustete leise.
    Eigentlich hieß er Soirbheachas, aber Ethan fand den Namen mehr als albern und weigerte sich, ihn zu benutzen. Typisch für seinen Vater, seinen Pferden solch hochtrabende Namen zu geben – Soirbheachas bedeutete Erfolg, aber was für ein Erfolg sollte das sein? Für Ethan drückte sich Erfolg absolut nicht in möglichst beutereichen Jagden über möglichst hindernisreiche Strecken aus, wie sie sein Vater so liebte. Es war für Ethan auch stets eine zwiespältige Angelegenheit, einen der perfekt ausgebildeten Irish Hunter aus den heimischen Stallungen zu reiten – um nichts in der Welt wollte er in den Verdacht geraten, womöglich Geschmack am Jagdreiten zu entwickeln. Andererseits gab es keine Alternative: Wenn Ethan reiten wollte, musste er die Pferde nehmen, die da waren. Außerdem konnte Sonny auch nichts dafür, dass Alastair Longmuir ihn und seine Stallgenossen – ebenso wie die Meute Fuchshunde und alles andere, was er für teures Geld unterhielt – als Statussymbole für seine gesellschaftliche Stellung betrachtete. Für Ethan hingegen war Sonny einfach ein schönes Pferd mit liebenswertem Charakter, das ihm zudem die Gelegenheiten verschaffte, vom Hof wegzukommen, wenn er es dort nicht mehr aushielt.
    Ethan verzog das Gesicht, als er an die Szene des heutigen Morgens dachte. Es war immer das gleiche Spiel, wenn er und sein Vater beim Frühstück saßen. Wie meistens begann die Diskussion mit St. Andrews, um dann zu Ethans »Computerspinnerei« bis hin zu sämtlichen vermeintlichen und tatsächlichen üblen und unstandesgemäßen Angewohnheiten überzugehen, die Alastair Longmuir an seinem Sohn zu bemängeln hatte. Ethan pflegte nach kurzer Zeit nichts mehr zu sagen. Er wusste aus langer Erfahrung, dass es zwecklos war und die Debatte nur noch weiter verschärfte. Er saß es also aus, wappnete sich dabei innerlich gegen die stets am Ende der Predigt fallende Bemerkung seines Vaters, er wäre genau wie seine Mutter, und nahm diese dann zum Anlass, sich höflich zu entschuldigen und das Frühstück zu beenden.
    Seine Mutter – ein Thema, über das Ethan nichts mehr hören wollte. Fast zehn Jahre war es nun her, dass sie fortgegangen war. Bis heute wusste Ethan nicht, wo sie sich befand, was sie machte und warum sie damals Mann und Kind verlassen hatte. Er vermied es auch schon seit Langem, darüber nachzudenken. Sie war weg, hatte sich nie wieder gemeldet, fertig. Er vermisste sie auch nicht mehr. In der ersten Zeit war es schlimm gewesen, das wusste er noch, aber dann fand er es einfacher, nicht mehr an sie zu denken. Inzwischen konnte er sich kaum noch erinnern, wie sie aussah, im ganzen Haus gab es kein Bild von ihr. Es schien fast, als hätte es sie niemals gegeben.
    Wenn nur sein Vater nicht immer wieder solche spitzen Bemerkungen machen würde! Sie trafen Ethan wie Dolchspitzen, obwohl er es mittlerweile gewöhnt sein sollte.
    Sonny schnaubte wieder und riss Ethan aus seinen trüben Gedanken. Er schreckte auf und sah auf seine Uhr. Schon fast Mittag.
    »Du hast recht, wir müssen los.«
    Mit geübten Griffen zog Ethan den vorher gelockerten Sattelgurt fest, nahm die Zügel in die Hand und saß auf. Sonny bog seinen Hals, kaute am Gebiss und tänzelte – er hatte sich offenbar gelangweilt und wollte endlich laufen.
    »Ja doch!« Ethan musste lächeln und gab ihm das Zeichen zum Anreiten. Was immer er für melancholische Gefühle verspüren mochte, sie waren verschwunden, sobald er im Sattel saß, die warmen Flanken des Pferdes an seinen Beinen spürte und die Kraft fühlen konnte, die den muskulösen Leib des Wallachs durchfloss.
    Er strich über den glatten Hals des Braunen und zauste seine drahtige schwarze Mähne, während Sonny mit stetigem Tritt den Hang hinunterschritt.
    Im Tal angekommen, trieb Ethan Sonny an und er fiel in Galopp. Das war stets der schönste Teil des Ausfluges – fand zumindest
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