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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg
Autoren: Sam Eastland
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einen kleinen Salat aus eingelegtem Kohl und Roter Bete bestellt.
    »Warum glauben Sie«, begann Nagorski, »dass ich jetzt einfach aufstehe und mit Ihnen mitgehe?«
    »Wenn Sie nicht freiwillig mitkommen, Genosse Nagorski, lautet mein Befehl, Sie zu verhaften.« Kirow hielt ihm das Telegramm hin.
    Nagorski wischte das Papier zur Seite. »Mich verhaften?«, brüllte er.
    Im Restaurant wurde es totenstill.
    Nagorski betupfte sich mit der Serviette die dünnen Lippen, warf das Tuch auf das Essen und erhob sich.
    Alle Augen waren nun auf den Tisch in der Ecke gerichtet.
    Nagorski setzte ein breites Lächeln auf, sein Blick aber war so kalt und feindselig wie zuvor. Er fasste in die Tasche seiner Jacke und zog eine kleine Automatikpistole heraus.
    Den Gästen an den umliegenden Tischen stockte der Atem. Klappernd wurden Messer und Gabel auf die Teller gelegt.
    Blinzelnd sah Kirow zur Waffe.
    »Sie scheinen mir ein wenig nervös zu werden«, lächelte Nagorski. Dann drehte er die Waffe um, so dass der Lauf zu ihm zeigte, und reichte sie dem anderen Mann an seinem Tisch.
    Sein Begleiter nahm sie entgegen.
    »Pass gut auf sie auf«, sagte Nagorski. »Ich möchte sie bald wiederhaben.«
    »Ja, Oberst«, erwiderte der andere. Er legte die Waffe neben seinen Teller, als gehörte sie zum Besteck.
    Nagorski verpasste dem jungen Mann einen Schlag auf den Rücken. »So, dann wollen wir doch mal sehen, was das Ganze soll!«
    Kirow verlor fast das Gleichgewicht. »Ein Wagen wartet.«
    »Gut!«, verkündete Nagorski dröhnend. »Warum zu Fuß gehen, wenn man fahren kann?« Lachend sah er sich um.
    Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf den Gesichtern der übrigen Gäste ab.
    Die beiden Männer gingen hinaus.
    Als sie an der Küche vorbeikamen, sahen sie in einem der kleinen runden Fenster in den beiden Schwingtüren Tschitscherins Gesicht.
    Draußen vor dem Borodino lag Schneematsch auf dem Gehweg.
    Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, packte Nagorski den jungen Mann am Kragen und stieß ihn gegen die Mauer des Restaurants.
    Der junge Mann leistete keinerlei Widerstand. Fast schien er es sogar erwartet zu haben.
    »Keiner stört mich beim Essen!«, knurrte Nagorski und hob den jungen Mann an, so dass dieser nur noch mit den Zehenspitzen den Boden berührte. »Keiner wird sich ungestraft eine solche Dummheit erlauben!«
    Mit einem Nicken wies Kirow zum schwarzen Wagen, der mit laufendem Motor am Straßenrand stand. »Er wartet, Genosse Nagorski.«
    Nagorski blickte über die Schulter und erkannte die Umrisse einer Person auf dem Rücksitz. Das Gesicht war nicht zu sehen. Dann wandte er sich wieder an den jungen Mann. »Wer sind Sie?«, fragte er.
    »Ich heiße Kirow. Major Kirow.«
    »Major?« Unvermittelt ließ Nagorski ihn los. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« Er trat einen Schritt zurück und versuchte, Kirows zerknittertes Revers glatt zu streichen. »Dann hätten wir uns diese Unannehmlichkeit ersparen können.« Er schlenderte zum Wagen und öffnete die Fondtür.
    Major Kirow setzte sich ans Steuer.
    Nagorski ließ sich auf der Rückbank nieder, und erst dann sah er zur Person neben sich. »Sie!«, rief er.
    »Guten Tag«, sagte Pekkala.
    »O Scheiße«, erwiderte Oberst Nagorski.

    Inspektor Pekkala war ein großer, kräftiger Mann mit breiten Schultern und leicht zusammengekniffenen, mahagonifarbenen Augen. Er war in Lappeenranta, Finnland, geboren, als das Land noch zum Russischen Reich gehört hatte. Seine Mutter stammte aus dem lappländischen Rovaniemi im Norden.
    Im Alter von achtzehn Jahren war Pekkala auf Wunsch seines Vaters nach Petrograd aufgebrochen, um sich zum Finnischen Garderegiment des Zaren zu melden. Dort war er zu Beginn der Ausbildung vom Zaren persönlich ausgewählt und zu dessen Sonderermittler bestimmt worden. Mit dieser Position, die es davor nicht gegeben hatte, erlangte Pekkala eine bis dahin unvorstellbare Machtfülle.
    Im Lauf seiner Ausbildung war er zunächst der Polizei unterstellt, dann der Staatspolizei – der Gendarmerie – und schließlich der zaristischen Geheimpolizei, der Ochrana. In dieser Zeit öffneten sich ihm Türen, von denen nur die wenigsten wussten, dass es sie überhaupt gab. Nach Abschluss der Ausbildung überreichte der Zar ihm ein Abzeichen, das einzige Dienstemblem, das er jemals trug – eine schwere Goldscheibe, deren Durchmesser der Länge seines kleinen Fingers entsprach. Sie war mit einer weißen, ovalen Emailleintarsie versehen, die sich durch
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