Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg
Autoren: Sam Eastland
Vom Netzwerk:
und Brille vom Lenker, stülpte sich die Haube über und legte die Brille an. An der Lederpolsterung der Brille war noch die Körperwärme des Toten zu spüren. Er startete die Maschine, fuhr zur Straße hinaus, und die Zündapp surrte, während er durch die Gänge schaltete.
    Schon kurz darauf erhob sich hinter ihm aus den lodernden Trümmern des Bauernhofs eine dichte Rauchwolke.

    Offiziell hatte das in einer stillen Seitenstraße des Bolotnia-Platzes in Moskau gelegene Borodino-Restaurant geöffnet. Inoffiziell wurde jeder, der durch die mit Efeumuster verzierte Milchglastür kam, vom Besitzer und Oberkellner, einem hageren Mann namens Tschitscherin, streng beäugt und dann entweder zu einem Tisch oder durch einen schmalen, unbeleuchteten Gang geleitet, der, wie der betreffende Gast mutmaßen musste, zu einem zweiten Speiseraum führte. Die Tür aber ging direkt hinaus in eine kleine Gasse neben dem Restaurant. Bis der Gast merkte, wie ihm geschah, war die Tür hinter ihm schon wieder sicher verriegelt. Und falls der Gast etwas schwer von Begriff war und meinte, es ein zweites Mal probieren zu müssen, bekam er es mit dem Barmann zu tun, einem ehemaligen griechischen Ringer namens Niarchos, der ihn dann auf etwas direktere Art des Lokals verwies.
    An einem trüben Märznachmittag, an dem sich noch die schwarzen Schneereste an die sonnenlosen Ecken der Stadt klammerten, betrat ein junger Mann in Uniform das Restaurant. Er war groß, hatte ein schmales Gesicht, rosige Wangen und einen Blick, der stete Neugier ausstrahlte. Seine maßgeschneiderte Gymnastiorka schmiegte sich an die Schultern und die Taille. Dazu trug er blaue Uniformhosen mit roten Lampassen sowie kniehohe, frisch gewienerte schwarze Stiefel.
    Tschitscherin suchte die Uniform nach Rangabzeichen ab. Alles unterhalb eines Hauptmanns würde durch den Gang zur Zaubergrotte geführt werden, wie Tschitscherin es nannte. Dieser junge Mann hatte nicht nur keinen Dienstgrad, er trug noch nicht einmal ein Abzeichen, das Auskunft über seine Truppengattung gegeben hätte.
    Trotz seines Widerwillens begrüßte Tschitscherin ihn mit einem Lächeln und einem »Guten Tag« und senkte leicht den Kopf, ohne den jungen Mann aus den Augen zu lassen.
    »Guten Tag auch«, kam die Erwiderung. Der Mann sah sich zwischen den vollbesetzten Tischen um und bewunderte augenscheinlich das Essen auf den Tellern. »Ah«, seufzte er. »Schaschlik.« Er deutete auf einen Teller, auf dem bereits lockerer weißer Reis zu sehen war und auf den nun ein Kellner gegrilltes Lammfleisch, Zwiebeln und grüne Paprika gab, nachdem er alles vorsichtig vom Spieß gelöst hatte. »War das Lamm in Rotwein eingelegt?«, fragte er und schnupperte dem Essensdunst hinterher. »Oder ist das Granatapfelsaft?«
    Tschitscherin musterte ihn durch schmale Augen. »Sie wollen einen Tisch?«
    Der junge Mann schien ihn gar nicht zu hören. »Und dort …« Er zeigte auf einen weiteren Tisch. »Lachs mit Dill und Meerrettichsauce.«
    »Ja, stimmt.« Tschitscherin nahm ihn sanft am Arm und lotste ihn zum Gang. »Hier entlang, bitte.«
    »Hier?« Der junge Mann blinzelte in den dunklen Korridor.
    »Jaja«, beruhigte ihn Tschitscherin. »Zur Zaubergrotte.«
    Gehorsam verschwand der junge Mann in der Gasse.
    Kurz darauf fiel die Metalltür klackend ins Schloss. Dann ertönte das hilflose Geruckel am Türknauf, als der junge Mann versuchte, wieder hereinzukommen.
    Gewöhnlich verstanden die Gäste den Wink, und Tschitscherin sah sie nie wieder. Diesmal aber dauerte es keine Minute, bis der junge Mann erneut in der Tür stand, auf seinem Gesicht nach wie vor ein unschuldiges Lächeln. Tschitscherin nickte Niarchos zu.
    Niarchos trocknete mit einem Schmuddellappen eines der frisch gespülten Teegläser. Als er Tschitscherins Nicken bemerkte, ruckte er kurz und abrupt den Kopf wie ein Pferd, das sich aus seinem Zaumzeug zu befreien versuchte. Behutsam stellte er das Glas ab und kam hinter der Theke hervor.
    »Es scheint ein Missverständnis vorzuliegen«, sagte der junge Mann. »Mein Name lautet Kirow, und …«
    »Sie sollten gehen«, unterbrach Niarchos ihn. Er hasste es, wenn er die Theke verlassen und seine endlosen Tagträume unterbrechen musste, denen er sich beim Gläserpolieren hingeben konnte.
    »Ich denke …«, setzte Kirow zu einer neuen Erklärung an.
    »Jaja«, zischte Tschitscherin nur, der plötzlich neben ihm auftauchte. Aus seinem Gesicht war jede Freundlichkeit verschwunden. »Ein Missverständnis,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher