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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg
Autoren: Sam Eastland
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ausschließlich von Holzfällern und Soldaten benutzt wurde, weshalb es manchmal vorkam, dass sowjetische und polnische Truppen aufeinandertrafen.
    Während der Reiter an der Spitze um die nächste Kurve bog, sinnierte er darüber, wie langweilig solche Patrouillen waren, wie öde der Wald und wie ungewöhnlich still es immer war.
    Plötzlich bockte sein Pferd, und er hatte zu kämpfen, im Sattel zu bleiben. Und dann sah er vor sich auf dem Weg die riesige, gedrungene Gestalt eines Panzers. Die Kanone war direkt auf ihn gerichtet, die Mündungsöffnung schien wie ein Zyklopenauge zu glühen. Aufgrund des schmutzig dunkelgrünen Anstrichs sah er aus, als wäre er direkt aus dem Boden gewachsen.
    Als die anderen Soldaten um die Biegung kamen, erschreckten sich Reiter und Tiere. Die klare Ordnung der Marschformation löste sich auf, die Ulanen redeten besänftigend auf ihre Pferde ein, zerrten an den Zügeln und versuchten, sie unter Kontrolle zu bekommen.
    Im nächsten Moment erwachte der Motor des Panzers aus seinem eisernen Schlaf und stieß ein tiefes Dröhnen aus. Zwei bläuliche Rauchsäulen wurden von den beiden Auspuffrohren ausgestoßen und kräuselten sich in der feuchten Luft.
    Eines der polnischen Pferde bäumte sich auf und warf seinen Reiter ab. Der befehlshabende Offizier, erkennbar am Revolver am Gürtel, brüllte ihm etwas zu, worauf sich der völlig schlammverschmierte Soldat wieder in den Sattel mühte.
    Der Panzer rührte sich nicht, der Motor allerdings dröhnte weiter und ließ die schlammigen Pfützen um die riesige Maschine erbeben.
    Die Ulanen wechselten angstvolle Blicke untereinander. Einer der Soldaten nahm das Gewehr von der Schulter.
    Als der Offizier das sah, gab er seinem Pferd die Sporen und schlug dem Mann das Gewehr aus der Hand.
    Und als es schien, als wollten die Ulanen in heilloser Verwirrung den Rückzug antreten, erstarb rasselnd der Panzermotor.
    Das Dröhnen verhallte zwischen den Bäumen. Bis auf das schwere Schnaufen der Pferde kehrte wieder Stille ein. Dann wurde eine Luke auf dem Panzerturm geöffnet, und ein Mann kletterte heraus. Er trug die schwarze, doppelreihige Lederjacke sowjetischer Panzeroffiziere. Zunächst gab er durch nichts zu erkennen, dass er die Polen überhaupt wahrgenommen hatte. Sobald er aus der Luke war, schwang er die Beine zur Seite und stieg nach unten. Erst jetzt schien er die Reiter zu bemerken. Zögernd hob er die Hand zum Gruß.
    Die Polen sahen sich an, erwiderten die Geste aber nicht.
    »Panzer kaputt!«, rief der Panzeroffizier in gebrochenem Polnisch. Hilflos warf er beide Hände in die Höhe.
    Und plötzlich war bei den polnischen Ulanen alle Angst verschwunden. Sie lachten und schwatzten.
    Zwei weitere Soldaten tauchten aus dem Panzer auf, einer oben auf dem Turm, der andere in der vorderen Luke, die sich so langsam öffnete wie ein träge blinzelndes Augenlid. Beide Männer trugen anthrazitfarbene Overalls und gepolsterte Hauben. Sie sahen zu den immer noch lachenden Polen und gingen dann zum Heck des Panzers. Einer klappte die Motorabdeckung auf, der andere sah hinein.
    Der sowjetische Kommandant schien völlig ungerührt vom Gelächter der Ulanen. Er zuckte nur mit den Achseln und wiederholte: »Panzer kaputt!«
    Der polnische Offizier stieß einen scharfen Befehl aus, worauf seine Männer wieder die ursprüngliche Formation einnahmen. Dann zeigte er mit einer zackigen Bewegung nach vorn, und sein Trupp setzte sich in Bewegung. Die beiden Reihen teilten sich und ritten um den liegengebliebenen Panzer herum.
    Die Polen machten aus ihrer Verachtung für das defekte Gerät keinen Hehl. Der Reiter an der Spitze senkte die Lanze, fuhr damit über die gesamte Länge des Rumpfs und kratzte eine dünne Linie in die weiße Farbe, mit der eine große 4 auf die Seite gemalt war.
    Die Sowjets ließen sie gewähren und machten sich an die Reparatur des Motors.
    Als der letzte polnische Ulan vorbeiritt, beugte er sich so weit aus dem Sattel, dass er den Panzerkommandanten hätte berühren können. »Motor kaputt!«, spottete er.
    Der Offizier nickte und grinste nur. Sobald die Pferde aber vorüber waren, wich das Lächeln aus seinem Gesicht.
    Die beiden Besatzungsmitglieder, die sich über den Motor gebeugt hatten, richteten sich auf und sahen dem um die nächste Kurve verschwindenden Trupp hinterher.
    »Genau, Polacke«, flüsterte einer von ihnen so leise, dass es kaum zu hören war. »Lacht ihr nur.«
    »Und wir lachen auch«, sagte der andere,
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