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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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Ich nenne den Betrag: 50 000 Franken. Er bedauert nach einem Blick auf den Bildschirm, dass auf meinem (Kaspars) Konto im Moment nicht mehr ganz so viel Geld sei; mein Mann sei ein vorzüglicher Vermögensverwalter, er lasse nie viel Geld auf dem Konto stehen. Ich nicke und meine, das sei mir bewusst. Dann nehme ich einen weiteren Schluck Kaffee. Ich frage, wie viel denn auf dem Konto sei. Er spricht von 48 360 Franken. Ich fuchtle mit der rechten Hand und sage, ich hätte eine Idee. Da sei doch noch mein Konto. Mein Konto hat mir Kaspar vor über dreissig Jahren eingerichtet, weil ich argumentiert habe, dass ich es nicht nett fände, wenn er sehen könne, wie viel die Geschenke, die ich für ihn kaufe, gekostet hätten. Er hat mir anfänglich im Monat siebzig Franken auf dieses Konto überwiesen; in den letzten zehn Jahren waren es hundert Franken. Ich suche nach der Plastikkarte für dieses Konto und reiche sie Herrn Anderegg. Und so einigen wir uns darauf, dass ich achtundvierzigtausend Franken vom Konto nehme, auf das ich eine Vollmacht habe, und die restlichen zweitausend Franken von meinem Konto (auf das Kaspar eine Vollmacht hat). Wir lächeln darüber, dass das Kaspar-Konto ja bald wieder gefüllt sein wird. Herr Anderegg verschwindet, dann bringt er die Banknoten, zählt sie vor meinen Augen, legt sie in einen diskret gestalteten Briefumschlag. Ich esse derweil eine weitere Praline, dann unterschreibe ich zwei Quittungen. Ich trinke meinen Kaffee aus, lege den Briefumschlag in meine Handtasche, wir stehen beide auf, fahren mit dem Lift nach unten. Herr Anderegg begleitet mich zum Eingang und ich bedanke mich nochmals.
    Ich gehe zum Parkplatz der Bank und setze mich in den Mercedes. Erst jetzt spüre ich mein Herz wieder. Es klopft heftig, und ich schiebe meine Hand unter den Pullover auf die Brust. »Herz, beruhige dich«, sage ich, »das ist ein Spiel«. Mein Herz tut, was ich ihm sage.
    Ich fahre aus der Parklücke. Ich fahre die Strasse entlang, will eine andere Bank finden, eine Bank, mit der Kaspar keine Geschäftsbeziehungen hat (gibt es so eine Bank? Ich weiss so wenig). Ich halte vor einer Bankfiliale, die einen anderen Namen hat als die, von der ich komme. Der Frau hinter dem Tresen sage ich, dass ich ein Konto eröffnen will. Auch sie bittet mich, etwas zu warten, es werde gleich eine Mitarbeiterin frei. Ich sitze auf einem Stuhl, und es kommt auch bald eine andere Frau, die sich mit »Frau Wenger« vorstellt und mütterlich wirkt. Sie trägt, wie ich, eine Brille. Ich folge ihr an einen Schreibtisch, der hinter einem Paravent aus Glas steht. Frau Wenger hört sich meinen Wunsch an, dann schiebt sie mir ein Formular hin, das ich ausfüllen soll. Ich lese es durch. Ich erschrecke. Ich muss hier meinen Beruf angeben, meine Adresse. Beruf und Adresse, die ich bislang in Formularen notiert habe, bedeuten meine Identität in den von Kaspar gesetzten Grenzen. Frau Wenger bittet mich um einen Ausweis, ich schiebe ihr meine Identitätskarte hin, sie geht, um die zu kopieren. Was soll ich bei »Beruf« eintragen? Was bei »Adresse«? Aber dann sage ich mir nochmals: »Herz beruhige dich. Das ist ein Spiel.« Ich wiederhole diese zwei Sätze so lange, bis Frau Wenger zurückkehrt. Und dann weiss ich auch, was ich schreiben soll. Bei »Beruf« notiere ich »Home Care-Mitarbeiterin«. Und bei »Adresse« setze ich Tante Sophies Adresse ein (mit einem c/o natürlich). So geht das problemlos. Doch als ich nach einer Kreditkarte frage, weist Frau Wenger mich freundlich darauf hin, dass ich, um die Kreditkarte zu bekommen, ein regelmässiges Einkommen haben müsse. Daran habe ich nicht gedacht. Aber jetzt sagt mir mein Herz: »Sophie, das ist ein Spiel!«, und ich informiere Frau Wenger höflich darüber, dass ich im Moment arbeitslos sei, dass ich aber bereits eine neue Aufgabe im Auge hätte. Ich hätte vor, einen kurzen Urlaub zu machen, würde mich dann aber, sobald ich die neue Stelle angetreten hätte, wieder an sie wenden. Dann übergebe ich ihr den grössten Teil der Summe, die ich in der anderen Bank in Empfang genommen habe. Ich erhalte eine Quittung über den einbezahlten Betrag, meine neue Kontonummer und die Zusicherung, dass mir die Bankkarte zu diesem Konto in wenigen Tagen zugesandt wird. Frau Wenger und ich reichen uns die Hand und schon sitze ich wieder im Mercedes.
    Ich nehme den Notizblock mit dem Logo des Hotels aus der Handtasche. Den Punkt »Mein Geld« kann ich nun abhaken. Ich will nicht
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