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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman
Autoren: Franzisika Haeny
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könne, da ich am Montag nicht mehr da sei. Wie kann ich meiner Tante beibringen, dass sie, die allein lebt, jemanden, der mit ihr ein
Assessment
durchführen möchte, ins Haus hereinlassen soll? Die Stimme am anderen Ende der Telefonleitung versteht erstaunlicherweise meine Bedenken. Er verspricht mir, heute abend um sechs Uhr persönlich im Haus der Tante vorbeizukommen.
    Ich hänge den Hörer ein. Ich gehe ans Fenster und schaue auf den Park hinaus: Bäume und Rasen und Wege in der Sonne. Und dahinter sind die Blutbuche und der Teich voll von Seerosenblättern. Und wieder erinnere ich mich an den Delfin. Es ist nicht unmöglich gewesen, es ist nicht einmal schwer gewesen, jemanden zu finden, der bereit ist, gegen Geld meiner Tante zu helfen.
    Ich sehe kurz auf den Notizblock mit den fünf Punkten. Ich weiss, ich kann den Punkt »Tante Sophie helfen« noch nicht abstreichen. Aber ich bin auf dem Weg dahin.
    Ich packe den Block in meine Handtasche. Es ist schade, dass ich aus dem Hotel ausziehen muss. Aber ich habe dringliche Aufgaben: Ich muss mich um Tante Sophie kümmern. Ich muss zu Martin reisen. Tante Sophie braucht mich. Martin braucht mich. Ich fahre mit dem Lift nach unten.
    In dem Moment, da ich der schwarzhaarigen Dame am Tresen meine Kreditkarte reiche – sie streckt eine gepflegte Hand aus, meine ist ungepflegt und plump –, weiss ich, was ich als nächstes angehen muss: Auf der Kreditkarte steht mein Name, aber alles, was ich mit dieser Kreditkarte bezahle, wird mithilfe eines Kontos beglichen, das auf Kaspars Namen lautet, und auf das Monat für Monat Kaspars Gehalt einbezahlt wird.
    Mit dem Mercedes fahre ich zu meiner Bankfiliale. Ich mache mir keine Gedanken, dass Kaspar mich sehen könnte; er ist im Moment in seinem Büro, das ist sicher. Auch hier steht eine Frau hinter einem Tresen. Die hier ist jedoch sehr jung und blondlockig. Ich zeige ihr meine Bankkarte und sage, dass ich mit meinem Berater sprechen möchte. Sie lächelt. Es ist ein Lächeln, das ich zu kennen glaube. Es bedeutet so viel wie »dicke dumme Hausfrau«. Dann spielt sie mit den Fingern auf der Tastatur vor ihr. Ich denke, sie sieht jetzt mein Konto, das heisst Kaspars Konto. Und wieder lächelt sie, aber nun bedeutet ihr Lächeln etwas anderes. Sie telefoniert. Sie bittet mich, mich doch zu setzen, Herr Anderegg werde gleich kommen.
    Ich sitze auf einem der kubischen Chromstahlledersessel, die sich die Bank für Wartende ausgedacht hat. Ich habe Angst. Ich habe mir auf dem Parkplatz des Hotels, auf dem Fahrersitz des Wagens, einen Plan ausgedacht; möglicherweise funktioniert der Plan nicht. Ich schaue auf meine hässlichen Hände, die auf meinem Schoss liegen, sehe an meiner linken Hand den mattgewordenen Ehering. Ich sage mir, dass ich nur Angst habe, weil ich jetzt in einem Kaspar-Bereich handle. Diese Bereiche waren all die Jahre »Todesstreifen«, wenn ich mich ihnen versehentlich näherte, wurde Kaspar eisig, er presste Kiefer und Lippen zusammen, und sprach, nachdem er etwa eine Minute mit dieser Miene verharrt hatte, von meiner Unfähigkeit und dass ich mich besser um die Dinge kümmern sollte, von denen ich etwas verstünde. Er meinte damit den Haushalt, von etwas anderem verstand ich nichts, sagte er. Wahrscheinlich verstehe ich tatsächlich sonst nichts. Die blonde Frau am Tresen lächelt mich erneut an. Sie weist auf einen jüngeren Mann im schwarzen Anzug, der auf mich zukommt. Ich stehe auf. Er schüttelt mir die Hand. Offenbar ist genug Geld auf Kaspars Konto. Wir fahren zusammen in einem hübsch tapezierten Lift hoch. Herr Anderegg bittet mich in einen kleinen Raum. Ein Tisch steht da mit Computer und mehreren Stühlen. Eine grosse Topfpflanze und ein hohes Fenster. Herr Anderegg fragt, ob er mir Kaffee bringen dürfe. Ich sage: »Ja, gern.« Ich spüre in der Kehle, dass mein Herz klopft. Herr Anderegg bringt mir Kaffee und stellt eine kleine Schale mit Pralinen dazu.
    Offenbar ist das ein Spiel, ein Spiel, das man mit verteilten Rollen spielt. Ich bin nun ganz ruhig. Ich kippe etwas Rahm in meinen Kaffee und nehme einen Schluck. Er erkundigt sich nach meinem Befinden. Ich erkundige mich nach seinem Befinden. Dann fragt er, was der Anlass unseres Treffens sei (er hat noch nie das Vergnügen gehabt, mit mir zusammenzutreffen). Ich nehme eine Praline und sage, dass ich Bargeld bräuchte. Es geht um ein Geschenk für meinen Mann, das ich bar bezahlen muss. Er nickt und fragt, wie viel Geld ich denn bräuchte.
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