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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Kehle halten konnte, gab der Alte keinen Laut von sich und keinen Schrei des Schreckens, so sehr schien ihm alles natürlich und in die Gesetze dieser Welt eingeordnet.
    Doch schon hörte er, noch bevor das Tier den Arm, der ihm im Rachen lag, zermalmte, das Peitschen eines Schusses; der Leib über ihm zuckte zusammen, und warmes Blut ergoß sich über seine Hand. Der Hund war tot.
    Schwer lag nun die Bestie auf ihm, und Bärlach fuhr mit der Hand über sie, über ein glattes, schweißiges Fell. Er erhob sich mühsam und zitternd, wischte die Hand am spärlichen Gras ab. Tschanz kam und verbarg im Näherschreiten den Revolver wieder in der Manteltasche.
    »Sind Sie unverletzt, Kommissär?« fragte er und sah mißtrauisch nach dessen zerfetztem linken Ärmel.
    »Völlig. Das Biest konnte nicht durchbeißen.«
    Tschanz beugte sich nieder und drehte den Kopf des Tieres dem Lichte zu, das sich in den toten Augen brach.
    »Zähne wie ein Raubtier«, sagte er und schüttelte sich, »das Biest hätte Sie zerrissen, Kommissär.«
    »Sie haben mir das Leben gerettet, Tschanz.«
    Der wollte noch wissen: »Tragen Sie denn nie eine Waffe bei sich?«
    Bärlach berührte mit dem Fuß die unbewegliche Masse vor ihm. »Selten, Tschanz«, antwortete er, und sie schwiegen.
    Der tote Hund lag auf der kahlen, schmutzigen Erde, und sie schauten auf ihn nieder. Es hatte sich zu ihren Füßen eine große schwarze Fläche ausgebreitet: Blut, das dem Tier wie ein dunkler Lavastrom aus dem Rachen quoll.
    Wie sie nun wieder aufschauten, bot sich ihnen ein verändertes Bild. Die Musik war verstummt, die erleuchteten Fenster hatte man aufgerissen, und Menschen in Abendkleidern lehnten sich hinaus. Bärlach und Tschanz schauten einander an, denn es war ihnen peinlich, gleichsam vor einem Tribunal zu stehen, und dies mitten im gottverlassenen Jura, in einer Gegend, wo Hase und Fuchs einander gute Nacht wünschten, wie der Kommissär in seinem Ärger dachte.
    Im mittleren der fünf Fenster stand ein einzelner Mann, abgesondert von den übrigen, der mit einer seltsamen und klaren Stimme rief, was sie da trieben.
    »Polizei«, antwortete Bärlach ruhig und fügte hinzu, daß sie unbedingt Herrn Gastmann sprechen müßten.
    Der Mann entgegnete, er sei erstaunt, daß man einen Hund töten müsse, um mit Herrn Gastmann zu sprechen; und im übrigen habe er jetzt Lust und Gelegenheit, Bach zu hören, worauf er das Fenster wieder schloß, doch mit sicheren Bewegungen und ohne Hast, wie er auch ohne Empörung, sondern vielmehr mit großer Gleichgültigkeit gesprochen hatte.
    Von den Fenstern her war ein Stimmengewirr zu hören. Sie vernahmen Rufe, wie »Unerhört«, »Was sagen Sie, Herr Direktor?«, »Skandalös«, »Unglaublich, diese Polizei, Herr Großrat«. Dann traten die Menschen zurück, ein Fenster um das andere wurde geschlossen, und es war still.
    Es blieb den beiden Polizisten nichts anderes übrig, als zurückzugehen. Vor dem Eingang an der Vorderseite der Gartenmauer wurden sie erwartet. Es war eine einzelne Gestalt, die dort aufgeregt hin und her lief.
    »Schnell Licht machen«, flüsterte Bärlach Tschanz zu, und im aufblitzenden Strahl der Taschenlampe zeigte sich ein dickes, aufgeschwemmtes, zwar nicht unmarkantes, aber etwas einseitiges Gesicht über einem eleganten Abendanzug. An einer Hand funkelte ein schwerer Ring. Auf ein leises Wort von Bärlach hin erlosch das Licht wieder.
    »Wer sind Sie zum Teufel, Mano?« grollte der Dicke.
    »Kommissär Bärlach – Sind Sie Herr Gastmann?«
    »Nationalrat von Schwendi, Mano, Oberst von Schwendi. Herrgottsdonnernocheinmal, was fällt Ihnen ein, hier herumzuschießen?«
    »Wir führen eine Untersuchung durch und müssen Herrn Gastmann sprechen, Herr Nationalrat«, antwortete Bärlach gelassen.
    Der Nationalrat war aber nicht zu beruhigen. Er donnerte: »Wohl Separatist, he?«
    Bärlach beschloß, ihn bei dem anderen Titel zu nehmen und meinte vorsichtig, daß sich der Herr Oberst irre, er habe nichts mit der Jurafrage zu tun.
    Bevor jedoch Bärlach weiterfahren konnte, wurde der Oberst noch wilder als der Nationalrat. Also Kommunist, stellte er fest, Sternenhagel, er lasse sich’s als Oberst nicht bieten, daß man herumschieße, wenn Musik gemacht werde. Er verbitte sich jede Demonstration gegen die westliche Zivilisation. Die schweizerische Armee werde sonst Ordnung schaffen!
    Da der Nationalrat sichtlich desorientiert war, mußte Bärlach zum Rechten sehen.
    »Tschanz, was der Herr
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