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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende
Autoren: Orson Scott Card
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Tracht Prügel gebeten hat. Es ist ja nicht so, als hätte ich die Absicht gehabt, ihn zu töten.
    Calvin legte die Finger auf Geschichtentauschers Kehle und tastete nach einem Puls. Er war da, schwach, aber wenn man bedachte, wie alt der Bursche war, war er wohl immer so schwach.
    »Hast mich nicht ganz umgebracht, was?« flüsterte Geschichtentauscher.
    »Hab mich nicht danach gefühlt«, sagte Calvin.
    »Wie viele Leute mußt du verprügeln, bevor alle mit dir übereinstimmen, daß du ein Schöpfer bist?«
    Calvin wollte ihn erneut schlagen. Lernte dieser alte Mann denn gar nicht dazu?
    »Weißt du, wenn du den Leuten nur ausreichend weh tust, werden dich irgendwann alle so nennen, wie du möchtest. Schöpfer. König. Captain. Boss. Master. Heiliger. Such dir deinen Titel aus, du kannst die Leute dazu prügeln, dich so zu nennen. Aber du veränderst dich selbst damit kein bißchen. Du veränderst damit nur die Bedeutung dieser Worte, bis sie alle nur ein und dasselbe bedeuten: Rabauke. Oder vielleicht auch Tyrann.«
    Während die Scham auf seinem Gesicht brannte, erhob Calvin sich und trat neben ihn. Er hielt sich zurück, den alten Mann so lange zu treten, bis sein Kopf Gelee war. »Du hast ein Talent für Worte«, sagte er.
    »Besonders für wahre Worte«, erwiderte Geschichtentauscher.
    »Lügen, soweit ich es sehe«, sagte Calvin.
    »Ein Lügner sieht Lügen«, sagte Geschichtentauscher. »Selbst wenn sie gar nicht vorhanden sind. Genau wie ein Heuchler Heuchler sieht, wann immer er guten Menschen begegnet. Er kann es nicht ertragen, daß jemand tatsächlich ist, was er zu sein nur vorgibt.«
    »Etwas Wahres hast du gesagt«, erwiderte Calvin. »Daß es sinnlos ist, hier darauf zu warten, daß Alvin mich lehrt, was er offensichtlich geheimhalten will. Ich hätte begreifen müssen, daß Alvin gar nicht vorhatte, mir irgend etwas beizubringen, weil er Angst hat, nicht mehr König seiner kleinen Welt zu sein, wenn die Leute sehen, wie ich all das tue, was er auch kann. Ich muß es allein herausfinden, genau, wie er es allein herausgefunden hat.«
    »Du mußt es herausfinden, indem du lernst, was er gelernt hat«, sagte Geschichtentauscher. »Allein oder als sein Schüler, obwohl ich bezweifle, daß du imstande bist, diese Dinge zu lernen.«
    »Du irrst dich«, sagte Calvin. »Ich werde es dir beweisen.«
    »Indem du lernst, deinen Willen zu beherrschen und deine Macht nur einzusetzen, um Dinge zu erschaffen, die anderen helfen?«
    »Indem ich in die Welt hinausziehe und alles lerne und zurückkomme und Alvin zeige, wer wirklich das Talent eines Schöpfers hat und wer nur so tut.«
    Geschichtentauscher richtete sich auf einen Ellbogen auf. »Aber Calvin … deine Taten hier und heute haben die Antwort darauf schon klar und deutlich gegeben.«
    Calvin wollte ihm ins Gesicht treten. Diesen Mund zum Schweigen bringen. Das leuchtende Haupt brechen und zusehen, wie das Gehirn sich auf das Gras ergoß.
    Statt dessen wandte er sich ab und ging ein paar Schritte auf den Wald zu. Diesmal hatte er ein Ziel. Den Osten. Die Zivilisation. Die Städte, die Länder, in denen Menschen dicht nebeneinander zusammenlebten. Unter ihnen würden welche sein, die ihn unterrichten konnten. Oder, wenn sich das als Trugschluß erweisen sollte, welche, mit denen er experimentieren konnte, bis er alles gelernt hatte, was Alvin wußte, und noch mehr. Es war ein Fehler gewesen, so lange hier zu bleiben. Töricht, noch immer darauf zu hoffen, von Alvin jemals Liebe oder Hilfe zu bekommen. Ich habe ihn angebetet, das war mein Fehler, dachte Calvin. Dieser blöde alte Narr war nötig, um mir zu zeigen, welche Verachtung die Leute für mich empfinden. Stets vergleichen sie mich mit Alvin, dem perfekten Alvin, Alvin dem Schöpfer, Alvin dem tugendhaften Sohn.
    Alvin der Heuchler. Er bewerkstelligt mit seiner Macht genau das, was ich tun will – aber er geht dabei so raffiniert vor, daß die Leute nicht mal merken, daß er sie beherrscht. Sag uns, was wir tun sollen, Alvin! Lehre uns, wie man ein Schöpfer wird, Alvin! Hat Alvin je gesagt: Das ist nicht deine Begabung, du armer Narr, ich kann dir das genauso wenig beibringen, wie ich einem Fisch beibringen kann, wie man läuft? Nein. Er tut so, als würde er sie unterrichten, hilft ihnen, einen elenden trügerischen Erfolg zu erringen, damit sie bei ihm bleiben, seine gehorsamen Diener, seine Jünger.
    Nun ja, ich gehöre nicht zu ihnen. Ich bin mein eigener Herr, klüger als er, und auch
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