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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler
Autoren: Max Landorff
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Auto. Sie selbst stand vollkommen still, direkt vor der Tür. Zwischen ihrer Nase und den angebrachten Metallzahlen 405 lagen nur zehn Zentimeter. Sie spürte ihren Herzschlag in die Handgelenke abrutschen. Ganz ruhig bleiben, dachte sie. Außenperspektive einnehmen. Wer steht da? Eine Frau, die weiß, was zu tun ist. Die weiß, wie es zu tun ist. Eine Frau, die sich nicht abbringen lässt. Name: Fiona Neustadt. Eine Frau, die nach alldem nicht mehr existieren wird. Die nichts zu verlieren hat. Sie tastete ihre Taschen ab. Messer. Stilettnadel. Telefon. Pistole.
     
    Warum antwortet die Schriftstellerschlampe eigentlich nicht? Warum ist von ihr nichts zu hören? Warst du mit der im Bett? Nein, du liebst ja mich, sagst du. Vater hatte das mit den Frauen besser organisiert. Sie wurden ihm gebracht. Diskret mit dem Taxi, mitten in der Nacht. Manchmal zwei auf einmal. Sie sind immer ins Nebengebäude, in die Praxisräume. Das hab ich schon geschnallt, als ich ganz klein war. Ich bin im Dunkeln rübergelaufen und hab an der Tür gehorcht … Wie jetzt. Das Leben, eine Kette von Wiederholungen. Apropos Wiederholungen: Ich habe dir einen Tipp gegeben, dir und auch der Polizei. Es hat mich viel Mühe gekostet, die Udine-Papiere zu besorgen. Alles Originale, keine Fälschungen. Für dich, Gabriel, war mir nichts zu teuer. Du hättest dich beschäftigen müssen mit dem Zyklus der Stadt Udine. Verrat ist das Thema. Aber du hast nichts verstanden. Wie immer. Du hast mich nicht verstanden.
     
    Sie holte die Pistole aus der Anoraktasche und entsicherte sie. Sie legte ihre linke Hand auf die Klinke, konzentrierte sich und drückte sie mit einer sehr langsamen, aber gleichmäßigen Bewegung Millimeter für Millimeter nach unten. Falls abgeschlossen war, hatte sie einen zweiten Zimmerschlüssel. Aber es war nicht abgeschlossen. Sachte schob sie die Tür auf. Gabriel Tretjaks Stimme wurde klar und deutlich.
    »… hattest du eine Affäre mit meinem Vater?«
    Charlotte Poland saß mit dem Rücken zu ihr. Gabriel blickte zur Tür. Als er sie sah, richtete sie die Pistole auf ihn.
    »Hallo, Gabriel«, sagte sie. »Nein, sie hatte keine Affäre mit deinem Vater.
Ich
hab deinen Vater gefickt. War gut, der Alte. Brauchte keinen Sternenhimmel, um einen Ständer zu kriegen.«

8
    Maresciallo Mario Facchetti hatte kein besonderes Glück bei Frauen. Es lag nicht an seinem Äußeren, er war mittelgroß, mittelschwer, seine rötlichen Haare trug er kurz und adrett geschnitten, wie es sich für einen Carabiniere gehörte. Seine Augen waren von einem auffallend leuchtenden Blau. Was ihm fehlte, war eine gewisse Lockerheit, Charme, die Fähigkeit zu flirten. Mario Facchetti wirkte immer sehr ernst, und wenn Frauen in der Nähe waren, wirkte er noch ernster. Er hatte dann das Gefühl, innerlich zu verkrampfen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, schwieg und dachte darüber nach, was er sagen könnte, und dann wusste er noch weniger, was er sagen sollte. Für einen wie ihn war deshalb dieser Mittwochabend ein ganz besonderer Abend.
    Eine Geldbotin der Banco Popolare, die direkt gegenüber der Polizeidirektion in Luino lag, hatte schon länger ein Auge auf den Maresciallo geworfen. Und zwar so auffällig, dass seine Kollegen ihn schon damit aufgezogen hatten. Viel zu oft parkte sie ihren kleinen gepanzerten Fiat auf einem der Plätze vorm Haus, die eigentlich für Einsatzfahrzeuge reserviert waren. Parkte und kam in die Dienststelle, um ein Schwätzchen zu halten. Stella hieß sie, sah ein wenig arabisch aus mit ihren dichten schwarzen Locken. Sie hatte einen schön geschwungenen Mund und, ja, das musste Mario Facchetti zugeben, einen entzückenden Hintern.
    Irgendwann hatte sich Facchetti schließlich ein Herz gefasst und sie tatsächlich zum Abendessen eingeladen. Sie hatte sofort zugestimmt, und heute war der große Tag. Facchetti hatte im Ristorante Camino für acht Uhr einen Tisch reserviert. Treffen wollten sie sich schon um halb acht, um an der gemütlichen Bar einen Aperitif zu trinken. Es war das beste Restaurant in Luino und eigentlich zu teuer. Aber was sollte es, er war schließlich Maresciallo. Im Beruf hatte er eine glücklichere Hand als bei Frauen. Er war einer von vier Dienstgruppenleitern der Polizei in Luino, und er war erst 29 Jahre alt.
    Jetzt war es Viertel vor sieben Uhr, und er saß an seinem Schreibtisch und überlegte, ob er zu diesem Abendessen seine nachtblaue Uniform anbehalten sollte oder nicht. Er hatte schon ein
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