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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler
Autoren: Max Landorff
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widerlich gewesen. Ein schwitzender Mann mit aufgesetzter, unterwürfiger Gestik, den ganzen Abend darauf bedacht, Mitleid zu erregen. Vermutlich, dachte Tretjak, hatte er sogar tatsächlich das Gefühl, dass er Mitleid verdiente. Immer wieder von neuem hatte er Tretjak beschrieben, was alles passieren würde, wenn sein Name öffentlich mit dem Callgirlring in Verbindung gebracht würde. Seine Familie, sein Ruf als Politiker, seine Existenz.
    Tretjak hatte ihm schon nach der Vorspeise die Frage gestellt »Was könnte ich denn für Sie tun?« und diese Frage später noch zweimal wiederholt. »Sie sollen mir helfen«, hatte der Mann immer wieder geantwortet.
    Bei derartigen Gesprächen in der
Osteria
saß Tretjak immer mit dem Rücken zur Eingangstür. Daher hatte er die außerordentlich attraktive Frau in dem schwarzen Hosenanzug nicht bemerkt, als sie das Lokal betrat. Erst als er seinen Tisch verließ, um die Toilette aufzusuchen – in Wahrheit, um das anstrengende Gespräch zu unterbrechen –, fiel sie ihm auf. Sie saß an der Bar, glatte dunkelbraune Haare, unauffälliges Make-up, kein Schmuck, nur ein großer, silberner Ring. Und als er an der Bar vorbeiging, hatte er eine Sekunde lang den Eindruck, sie würde ihm etwas sagen wollen. Aber dann schob sich der Kellner Mario zwischen sie.
    »Sie wollen nichts, gar nichts an Ihrem Leben ändern«, hatte Tretjak am Ende des Essens zu dem Landtagsabgeordneten gesagt. »Sie wollen nur davonkommen.« Er hatte an Kerkhoff gedacht und an das erste der sieben Gebote, das einfachste: Ein Auftrag, den man nicht annehmen will, wird abgelehnt. »Ich habe keinen Zugang zu Polizeiakten, ich kann keine Beweismittel manipulieren, verstehen Sie?« Es war ihm klar, dass die meisten Menschen, mit denen er zu tun hatte, bei diesen Worten ungläubig reagieren würden. Gab es überhaupt irgendetwas, zu dem Tretjak keinen Zugang hatte? »Alles, was ich für Sie tun könnte, wäre, Ihnen eine neue Telefonnummer zu beschaffen. Wie alt sollten die Mädchen denn sein?«
    Tretjak sah, dass sein Gegenüber die Ironie überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Früher hätte er nie eine derartige Bemerkung gemacht. Er wäre kühl und höflich geblieben. Der Mann würde sich beim Minister beschweren, aber das war kein Problem. Der Minister kannte Tretjaks Grundsätze – aus eigener Erfahrung.
    »Tut mir leid, Herr Abgeordneter«, hatte er abschließend gesagt. »Ich kann Ihren Auftrag nicht annehmen. Bleiben Sie ruhig sitzen, trinken Sie den Wein aus. Die Rechnung ist bezahlt, Sie sind mein Gast.«
    Als Mario ihm seinen Mantel gebracht hatte, sah er, dass die Frau an der Bar verschwunden war. Mario bemerkte seinen Blick und lächelte. »Die wollte Sie unbedingt sprechen. Sie hat gesagt, es sei sehr wichtig.« Der Kellner hatte strikte Anweisung, Gespräche am Tisch in der Nische 2 unter keinen Umständen zu unterbrechen.
    Tretjak hatte die Ludwigstraße erreicht, ging auf die Feldherrnhalle und die erleuchtete Theatinerkirche zu. Hinter
Schumann’s Bar
bog er in den Hofgarten ein, als sein Handy eine Nachricht ankündigte. Tretjak blieb stehen, holte das Telefon aus der Manteltasche und las die SMS :
    Ich bin die Frau aus der Osteria. Ich muss Sie sprechen.
    Tretjak war nicht übermäßig überrascht, dass eine ihm fremde Person seine Telefonnummer herausgefunden hatte. Aber er entschied sich, nicht zu reagieren, steckte das Telefon weg und ging weiter. Aber das Signal kam noch einmal, der Wortlaut der SMS war exakt derselbe. Tretjak blieb erneut stehen – und schrieb jetzt zurück:
Mich spricht man nur auf Empfehlung.
    Ich habe eine Empfehlung
, kam sofort die Antwort.
Von Ihrem Vater.
    Tretjak stand vollkommen still, ohne eine einzige Bewegung. Ein flüchtiger Beobachter hätte ihn im Dunkeln für einen der neu gepflanzten Alleebäume halten können. Dann nahm er das Telefon ans Ohr und stellte eine Verbindung zu der unbekannten Nummer her. Eine Frauenstimme meldete sich.
    »Ja?«
    »Das ist die falsche Empfehlung«, sagte Tretjak. »Ich habe meinen Vater über zwanzig Jahre nicht gesprochen, und das wird so bleiben. An dieser Stelle endet unser Gespräch.«
    Tretjak war entschlossen, die rote Taste zu drücken, trotzdem zögerte er einen kurzen Augenblick. So hörte er noch die Frauenstimme und den Anfang eines Satzes: »Das ist ein Fehler, begreifen Sie …« Erst dann war die Leitung unterbrochen.
    Er stand immer noch zwischen den Bäumen. Das Display des Telefons ließ sein Gesicht in
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