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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler
Autoren: Max Landorff
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ganz: Was habe ich damit zu tun?«
    »Wir haben bei der Leiche ein Handy gefunden. Ein merkwürdiges Handy, wenn Sie so wollen. Keine einzige Nummer gespeichert, auch sonst nichts. Und es wurde nur ein einziges Mal damit angerufen, und zwar gestern. Der Anruf ging nach Colombo, in Ihr Hotel. Mit diesem Handy wurde Ihnen eine Nachricht übermittelt, wir haben das inzwischen rekonstruiert.«
    »Das stimmt, ich saß gerade beim Essen, da kam der Rezeptionist und sagte, ein Mann habe mir eine dringende Nachricht hinterlassen.«
    »Und was war das für eine Nachricht?«
    »Ein völliger Nonsens. Ich habe nichts verstanden. Es war ein Hinweis auf ein Rennpferd, das irgendein Rennen gewinnen sollte. Ich war im Leben noch nie auf einer Rennbahn. Ich habe das Ganze für einen Irrtum gehalten, eine Verwechslung.«
    Maler trank einen Schluck Wasser. »Können Sie sich noch an den Namen dieses Pferdes erinnern?«
    »Ja, Nu Pagadi. Ich wusste mal, was das heißt, irgendwas Russisches. Ein merkwürdiger Name für ein Pferd, fand ich. Deshalb habe ich ihn mir gemerkt.«
    »Nu Pagadi. Das bedeutet: ›Na, warte.‹« Maler machte eine Pause. »Herr Tretjak, wir haben die Leiche des Professors in einem Pferdetransporter auf einem Autobahnparkplatz gefunden. In der linken Box war der Tote, in der rechten stand das Pferd. Nu Pagadi. Ist übrigens was Besonderes, das Pferd. Soll richtig viel Geld wert sein.«
    Das Gespräch zwischen den beiden dauerte nicht mehr lange. Maler fragte, wer alles gewusst habe, dass Tretjak in dem Hotel in Colombo gewesen war, und nach dem Grund für Tretjaks Reise. Und irgendwann sagte er noch: »Sie müssen nachdenken, was diese Nachricht bedeuten könnte.«
     
    Die große Kirchenuhr am Sankt-Anna-Platz schlug halb vier, als Kommissar Maler das Haus verließ. Zwei Glockenschläge, wie immer zur halben Stunde. Maler hatte bei der Polizei einen Lehrmeister gehabt, seinen langjährigen Chef, der ihm viel beigebracht hatte. Eines davon war: Vermeide es, soweit möglich, ein inneres Urteil zu fällen über Leute, über die du ermittelst. Werte nicht, halte es in der Schwebe, beantworte dir nicht, ob du Leute sympathisch oder unsympathisch findest, glaubwürdig oder nicht. Denn jedes Urteil verengt den Blick, beschränkt die Wahrnehmung. Ein guter Polizist hat keine Schubladen fürs Denken, hatte sein Chef oft gesagt.
    Maler stieg in seinen Wagen, einen beigen BMW , und hielt sich auch diesmal dran: Kein schnelles Urteil über Gabriel Tretjak. Nur eine Beobachtung speicherte er ab: Normalerweise stellten Leute, denen man eine solch dramatische Nachricht bringt, Fragen. Wie ist der Mann gestorben? Wie wurde er gefunden? Welche Überlegungen stellte die Polizei bislang an? Diese Dinge wollten die Menschen meistens wissen. Bei Tretjak war es anders. Er hatte zugehört und geantwortet. Sonst nichts.
    Als Maler auf den Mittleren Ring einfuhr, konnte er sich eines kleinen Urteils dann aber doch nicht erwehren. Es galt der schmalen blonden Steuerprüferin, der er in Tretjaks Wohnung kurz die Hand gegeben hatte. Ihm fiel sein Zimmergenosse in der Herzklinik ein, mit dem er wochenlang ein Zweibettzimmer geteilt hatte. Sie hatten sich mit der Zeit ein kleines Spiel ausgedacht. Bei jeder Frau, die ins Zimmer kam oder der sie irgendwo in der Klinik begegneten, setzten sie Beruf und Nationalität in Beziehung zum Aussehen. Interessant waren die Erwartungsklischees wie »Krankenschwestern sind hübscher als Putzfrauen«, der Witz bestand in Aussagen wie »Für eine Engländerin wäre sie hübsch, für eine Krankengymnastin nicht«. Maler war sich ganz sicher, dass sich sein Zimmerkumpel und er im Fall der Frau vom Finanzamt einig gewesen wären: Für eine Steuerprüferin sah sie ziemlich gut aus.
    München, Sankt-Anna-Platz, 17 Uhr
    Es gibt nur eins, was das menschliche Gehirn nicht kann:
nicht
lernen. Das hatte er immer gesagt. Das war eine der Standarderöffnungen in Kerkhoffs berühmten Vorträgen gewesen. Tretjak betrachtete das Foto auf dem Bildschirm. Harry Kerkhoff lachte sein überhebliches, blitzendes Lachen. Es war ein altes Foto, bestimmt zehn Jahre alt, aufgenommen auf irgendeiner Feierlichkeit, zu später Stunde. Kerkhoff im Smoking, Tretjak auch. Er stand auf dem Bild neben ihm. Kerkhoff hatte damals noch seinen Lockenkopf gehabt; später, als ihm die ersten Haare ausfielen, hatte er sich sofort eine Glatze rasiert. Er rasiere jetzt morgens eben eine größere Fläche, hatte er gesagt, als Tretjak ihn beinah
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