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Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher
Autoren: John Grisham
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jüngster Sohn hat dort studiert, aber kein Examen gemacht, und jedes Jahr kommt Professor Smoot zu uns mit einigen seiner Studenten, die sich eure juristischen Probleme anhören und euch Ratschläge geben werden, die immer gut sind, und immer umsonst, wie ich vielleicht hinzufügen sollte.« Sie dreht sich um und bedenkt Professor Smoot mit einem breiten Lächeln. »Professor Smoot, im Namen unserer Gruppe heißen wir Sie in Cypress Gardens willkommen. Wir danken Ihnen für Ihre Anteilnahme an den Problemen der Senioren. Danke. Wir lieben Sie.«
    Sie tritt vom Podium zurück und fängt an, laut zu klatschen, und bedeutet dabei ihren Genossen mit heftigem Kopfnicken, ihrem Beispiel zu folgen, aber niemand, nicht einmal Bosco, hebt eine Hand.
    »Er ist ein Hit«, füstert Booker.
    »Wenigstens wird er geliebt«, füstere ich zurück. Sie haben jetzt zehn Minuten dagesessen. Es ist kurz nach dem Essen, und ich bemerke ein paar schwere Lider. Bis Smoot fertig ist, werden sie schnarchen.
    Er steigt aufs Podium, rückt das Mikrofon zurecht, räuspert sich und wartet, bis Miss Birdie ihren Platz in der ersten Reihe eingenommen hat. Beim Hinsetzen flüstert sie einem blassen Herrn neben sich zu: »Sie hätten klatschen sollen.« Er hört es nicht.
    »Danke, Miss Birdie«, quakt Smoot. »Es ist immer nett, hier in Cypress Gardens zu sein.« Seine Stimme klingt aufrichtig, und ich habe keinerlei Zweifel, daß Professor Howard L. Smoot es in diesem Moment tatsächlich als Privileg empfindet, hier zu sein, in diesem deprimierenden Bau, vor dieser traurigen Horde von alten Leuten, mit den einzigen vier Studenten, die in seinem Kurs geblieben sind. Smoot lebt für so etwas.
    Er stellt uns vor. Ich stehe rasch auf, lächle kurz, dann setze ich mich wieder und lasse mein Gesicht wieder in einem intelligenten Stirnrunzeln erstarren. Smoot redet über Gesundheitsvorsorge, Haushaltskürzungen, Testamente, Befreiung von der Mehrwertsteuer, mißhandelte Gruftis und Versicherungen mit Selbstbehalt. Die Leute fallen um wie die Fliegen. Schlupflöcher in der Sozialversicherung, schwebende Gesetzesverfahren, Vorschriften für Pflegeanstalten, Nachlaßplanung, Wunderdrogen, er kommt vom Hundertsten ins Tausendste, genau wie bei seinen Vorlesungen. Ich gähne und fühle mich ebenfalls schläfrig. Bosco schaut alle zehn Sekunden auf seine Uhr.
    Schließlich kommt Smoot aber doch zum Ende, dankt abermals Miss Birdie und ihren Leuten, verspricht, Jahr für Jahr wiederzukommen, und läßt sich dann am Ende des Tisches nieder. Miss Birdie klatscht zweimal in die Hände, dann gibt sie es auf. Niemand sonst regt sich. Die Hälfte von ihnen schnarcht.
    Miss Birdie schwenkt die Arme in unsere Richtung und sagt zu ihren Schäfchen: »Da sind sie. Sie sind gut, und es kostet nichts.«
    Langsam und verlegen bewegen sie sich auf uns zu. Bosco ist der erste in der Schlange, und es ist offensichtlich, daß er sauer ist wegen der Götterspeise, denn er funkelt mich an, geht zum anderen Ende des Tisches und setzt sich auf einen Stuhl vor der Ehrenwerten N. Elizabeth Erickson. Irgend etwas sagt mir, daß er nicht der letzte künftige Mandant ist, der juristischen Rat bei jemand anderem suchen wird. Ein älterer Schwarzer erwählt Booker zu seinem Anwalt, und sie stecken über dem Tisch die Köpfe zusammen. Ich versuche, nicht zuzuhören. Irgend etwas über eine Ex-Ehefrau und eine Scheidung vor vielen Jahren, die vielleicht vollzogen wurde oder auch nicht. Booker macht sich Notizen wie ein richtiger Anwalt und hört aufmerksam zu, als wüßte er genau, was er zu tun hat.
    Wenigstens hat Booker einen Mandanten. Volle fünf Minuten komme ich mir ausgesprochen dämlich vor. Ich sitze allein da, während meine drei Mitstudenten flüstern und kritzeln, aufmerksam zuhören und angesichts der sich vor ihnen entfaltenden Probleme die Köpfe schütteln.
    Meine Einsamkeit bleibt nicht unbemerkt. Schließlich greift Miss Birdie in ihre Handtasche, holt einen Umschlag heraus und trippelt zu meinem Ende des Tisches. »Sie sind es, mit dem ich reden wollte«, flüstert sie und rückt ihren Stuhl dicht an die Tischecke heran. Sie beugt sich vor, und ich lehne mich nach rechts, und in genau diesem Moment, in dem unsere Köpfe nur Zentimeter voneinander entfernt sind, beginnt meine erste Konferenz als juristischer Berater. Booker wirft mir einen boshaften Blick zu.
    Meine erste Konferenz. Vorigen Sommer habe ich für eine kleine Kanzlei in der Innenstadt gearbeitet, zwölf
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