Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
berauscht von der mir gerade eben verliehenen Macht, die magischen Worte zu Papier zu bringen, die aus ganz gewöhnlichen Leuten Millionäre machen. Mein Lächeln ist so herzlich und so falsch, daß ich hoffe, sie ist nicht beleidigt.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagt sie nachdenklich und sieht sich um, als wäre dies ein Spiel. »Ich weiß noch nicht, wem ich es geben soll.«
    Nun, wie wäre es mit einer Million für mich? Ich muß jeden Tag damit rechnen, daß Texaco mich auf vierhundert Dollar verklagt. Wir haben die Verhandlungen abgebrochen, und jetzt habe ich es mit ihrem Anwalt zu tun. Mein Hauswirt droht, mich vor die Tür zu setzen, weil ich seit zwei Monaten keine Miete mehr bezahlt habe. Und ich sitze hier und unterhalte mich mit der reichsten Person, die mir je begegnet ist, einer Person, die vermutlich nicht mehr allzu lange leben wird und gerade darüber nachdenkt, wer wieviel bekommen soll.
    Sie gibt mir ein Blatt Papier, auf dem in Druckschrift vier Namen untereinanderstehen, und sagt: »Das sind die Enkelkinder, die ich bedenken will, diejenigen, die mich noch lieben.« Sie hält die Hände an den Mund und bewegt ihn auf mein Ohr zu. »Geben Sie jedem von ihnen eine Million Dollar.«
    Meine Hand zittert, während ich es auf meinem Block festhalte. Wamm! Ich habe gerade vier Millionäre erschaffen, einfach so. »Was ist mit den anderen?« frage ich leise füsternd.
    Sie läßt sich ruckartig zurückrutschen, sitzt stocksteif da und sagt: »Keinen Pfennig. Sie rufen mich nicht an, schicken mir nie Geschenke oder Karten. Streichen Sie sie.«
    Wenn ich eine Großmutter hätte, die zwanzig Millionen Dollar schwer ist, würde ich ihr jede Woche Blumen schicken, jeden zweiten Tag eine Karte, Pralinen, wenn es regnet, und Champagner, wenn es das nicht tut. Ich würde sie einmal am Morgen und zweimal vor dem Schlafengehen anrufen. Ich würde jeden Sonntag mit ihr in die Kirche gehen und Hand in Hand mit ihr dasitzen, dann würden wir zusammen essen gehen und anschließend zu einer Auktion, ins Theater oder zu einer Kunstausstellung oder wohin immer Granny gerade gehen wollte. Ich würde mich um meine Großmutter kümmern.
    Und ich habe schon daran gedacht, für Miss Birdie dasselbe zu tun.
    »Okay«, sage ich mit ernster Miene, als hätte ich das hier schon viele Male getan. »Und nichts für Ihre beiden Kinder?«
    »Das sagte ich doch. Überhaupt nichts.«
    »Was, wenn ich fragen darf, haben sie Ihnen angetan?«
    Sie stößt heftig den Atem aus, als wäre sie jetzt maßlos enttäuscht, dann verdreht sie die Augen, als widerstrebte es ihr, es mir zu sagen, doch dann kippt sie auf beiden Ellenbogen vorwärts, um es mir trotzdem mitzuteilen. »Also«, flüstert sie, »Randolph, der älteste, er ist fast sechzig, gerade zum drittenmal verheiratet, mit einem kleinen Flittchen, die immerzu nach dem Geld fragt. Was immer ich ihm hinterlasse, bekommt sie in die Finger, und da würde ich es lieber Ihnen geben, Rudy, als meinem eigenen Sohn. Oder Professor Smoot oder sonst jemandem, aber auf keinen Fall Randolph. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Mein Herz steht still. Zentimeter, nur Zentimeter davon entfernt, bei meinem ersten Mandanten auf eine Goldgrube zu stoßen. Zum Teufel mit Broadnax and Speer und all diesen Konferenzen, die auf mich warten.
    »Mir können Sie es nicht vermachen, Miss Birdie«, sage ich und bedenke sie mit meinem herzlichsten Lächeln. Meine Augen und vermutlich auch meine Lippen, mein Mund und meine Nase flehen sie an zu sagen: Doch! Verdammt noch mal! Es ist mein Geld, und ich kann es geben, wem ich will, und wenn ich will, daß Sie es bekommen, Rudy, dann gehört es Ihnen!
    Statt dessen sagt sie: »Alles andere geht an Reverend Kenneth Chandler. Kennen Sie ihn? Er ist jetzt ständig im Fernsehen, von Dallas aus, und er tut alle möglichen wunderbaren Dinge in aller Welt mit unseren Spenden, baut Häuser, füttert Babys, lehrt die Bibel. Ich will, daß er es bekommt.«
    »Ein Fernsehprediger?«
    »Oh, er ist viel mehr als ein Prediger. Er ist Lehrer und Staatsmann und Berater, diniert mit Staatsoberhäuptern, und außerdem ist er so ein hübscher Junge. Dieser Kopf mit dem lockigen grauen Haar, vorzeitig ergraut, aber er würde niemals etwas dagegen unternehmen, verstehen Sie?«
    »Natürlich nicht. Aber …«
    »Er hat mich neulich abend angerufen. Können Sie sich das vorstellen? Im Fernsehen ist diese Stimme ja schon weich wie Seide, aber am Telefon ist sie regelrecht verführerisch.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher