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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Autoren: Aufbau
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schellt es dann manchmal, dann steht er auf, ohne sich die Note überhaupt anzuhören – Righi, du kriegst eine Sechs, Righi, damit rasselst du durch, Righi, das nächste Mal wanderst du zum Rektor –, und verlässt den Raum, um sich in den Gärten Zerolandias, das heißt im Schulhof, die Beine zu vertreten, ein Häftling beim Hofgang. An die Mauer gelehnt, raucht er seine Zigarette und lässt den Blick schweifen. Er redet mit niemandem und niemand mit ihm, und das nicht, weil er einen üblen Ruf hat oder gemeingefährlich aussieht. Ein Blick von ihm genügt, um zu wissen, dass man nicht erwünscht ist und besser Leine zieht. Von seiner Familie habe ich nur einmal die Mutter gesehen, Geschwister scheint er nicht zu haben. Righi ist tatsächlich ein Einzelstück. Es war vor ungefähr zwei Jahren während der Elternsprechstunde: eine kleine Frau mit magerem Gesicht und dunklen, sanften Augen. Sie trug viel zu weite schwarze Hosen und einen dunkelblauen, mindestens zwei Nummern zu großen Pulli. Ihr Haar steckte unter einer dunklen Zopfstrickmütze, die ebenfalls aussah, als gehörte sie einem männlichen Familienmitglied. Mit gesenktem Kopf lehnte sie an der Flurwand,und nur wenn jemand vorbeikam, sah sie mit einem schüchternen Lächeln auf, um ihre Befangenheit zu überspielen. Sie hatte eine dieser Plastikhandtaschen, wie sie die Marokkaner auf dem Markt verscheuern, und presste sie ganz fest an sich, als müsste sie sich daran festklammern. An dem Tag war auch meine Mutter mit, und als sie merkte, wie ich zu der Frau hinüberstarrte, ermahnte sie mich. »Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?« – »Man glotzt die Leute nicht so an.« – »Das ist die Mutter von dem Sitzenbleiber«, sagte ich, wie um mich zu rechtfertigen. »Na und?« Ihr Ton erlaubte keine Widerrede. »Ich mach doch gar nix«, blaffte ich zurück. »Außerdem glotzen alle die an.« – »Ein Grund mehr, es nicht zu tun, stell dir vor, du wärst an ihrer Stelle.« Was für ’ne Stelle?, dachte ich, doch es hatte keinen Sinn, weiterzustreiten. Wieder blinzelte ich hinüber. Offenbar war sie nicht besonders gut dran: Die Tasche, die Kleidung, die Schuhe, alles sah nach alten Leuten aus, doch sie wirkte nicht alt, sondern einfach nur arm. Ich musterte meine Mutter und all die anderen Wartenden. Wie soll man sich eigentlich nicht unwohl fühlen, dachte ich, wenn man sein Leben mit dem der anderen vergleicht und feststellt, dass man es am schlechtesten erwischt hat?
    Als wir eintraten, um mit der Mathelehrerin zu reden, kam sie mit und setzte sich zur Italienischlehrerin. Ich hörte, wie sie von Gabriele sprach und meinte, er sei ein lieber Junge, nur sehr verschlossen, er verstehe sich nicht gut mit seinem Vater. Ihre Stimme klang sanft, und man merkte, dass sie ihn sehr liebte. Schweigend hörte sie zu, was die Lehrerin über Gabriele zu sagen hatte: Er lerne nicht, er schwänze oft, die Schule sei ihm völlig egal. Ich sah sie an und fragte mich, weshalb sie gekommen war. Sie machte nicht den Eindruck, als würde siegleich nach Hause gehen, sich ihren Sohn vorknöpfen und ihm sagen, das Taschengeld ist gestrichen oder es gibt kein Auto mehr. Sie tat mir leid, sie sah so aus, als hätte sie nichts und niemanden. Als die Lehrerin mit ihrer Tirade fertig war, hörte ich, wie Gabrieles Mutter sie bat, es noch einmal mit ihm zu versuchen, es brauche Geduld, doch er sei ein kluger Junge und könne sehr gut zeichnen, ob sie seine Zeichnungen gesehen habe? Als die Lehrerin zurückbellte, Zeichnungen würden einen im Leben nicht weiterbringen und die ganze Schule, Hausmeister inklusive, seien mit ihrer Geduld am Ende, litt ich mit ihr mit. Ich hörte, wie sie der Lehrerin entschuldigend beipflichtete und sich wie ein geprügelter Hund davonschlich. Als wir das Lehrerzimmer verließen, stand sie in der Eingangshalle, einen Zettel in der Hand. Sie kam auf uns zu und fragte, in welchem Klassenzimmer der Kunstlehrer zu finden sei. Dabei hielt sie sich die Hand vor den Mund. Ich bemerkte, dass sie ganz kaputte Zähne hatte, und es versetzte mir einen Stich: Ich schämte mich, mir all das üble Geschwätz über Gabriele angehört zu haben.
    Ich sehe, wie Sonia mit Ilaria redet, inzwischen hängen sie dauernd zusammen. Besonders lustig finde ich daran, dass Ilarias Ex-Busenfreundin, die schnuckelige blonde Barbara, geschasst wurde, weil sie es gewagt hatte, einen Typen aus der Dreizehn anzugucken, den Ilaria toll fand. Ilaria hat sie vor der Schule
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