Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Einzige, die Der Fänger im Roggen schon durch hat. Dieses Buch ist zu meiner Bibel geworden. »Wenn mich nur niemand kannte und ich auch keinen Menschen kannte. Ich dachte mir aus, dass ich mich taubstumm stellen würde. Auf diese Weise brauchte ich keine verdammten, blöden, nutzlosen Gespräche mit irgendjemandem zu führen.« Wäre vielleicht sogar was für Zero, ich könnt’s ihm leihen.
    Gestern habe ich den ganzen Nachmittag gelesen, und als Rosa kam, habe ich uns allen Tee gemacht. Wenn Rosa da ist, kommt wieder Leben ins Haus. Ich helfe ihr bei der Wäsche und leiste ihr beim Bügeln Gesellschaft. Meine Großmutter wirkt in letzter Zeit ständig müde. Sie redet kaum und wenn, versucht sie unbeschwert zu wirken, doch es gelingt ihr nicht. Sie ist so angespannt, dass man fürchtet, sie könnte jeden Moment in Tränen ausbrechen oder zu schreien anfangen. Wahrscheinlich hat sie Rosa deshalb gebeten, zweimal die Woche zu kommen, das lenkt sie ab, und vielleicht kann sie sich bei ihr das Herz ausschütten; bei mir würde sie das nie tun.
    Ich frage mich, was Gabriele macht, wie er wohl seine Tage verbringt, wenn er nicht zur Schule kommt. Vielleicht hat er eine Freundin und will seine Zeit lieber mit ihr verbringen.Oder er zieht mit irgendwelchen kleinkriminellen Losern rum und lästert über die Schule. Ich stelle mir vor, wie er dasitzt, in seinem Block rumkritzelt und sagt, wir seien ein Haufen Rassisten und die Lehrer arme Säue, außerdem habe ein Mädel aus seiner Klasse, dessen Mutter gestorben ist, sich neben ihn gesetzt und mache nie den Mund auf. »Na, dann musst du ihr helfen«, sagt einer mit vielsagendem Machoblick. Alle grölen los. »Ich? Was kratzt mich das?«, kontert Gabriele, und ein anderer legt nach: »Versuch’s doch mal, vielleicht findet sie die Sprache wieder. Sieht die wenigstens gut aus?« Wieder grölen alle, und Gabrieles Antwort geht darin unter. Ich sehe seine Freunde vor mir, wie sie lachen und blöde Witze machen, während er vor sich hin zeichnet und sie schon vergessen hat. Ich beneide ihn um dieses Können, mit dem er nie prahlt oder zu punkten versucht, um dieses in seinen geballten Fäusten verborgene Talent, die in den Taschen seiner Fünfzehn-Euro-Windjacke stecken. Wäre er nicht so autistisch drauf, würde sich vielleicht jemand für ihn interessieren. Er sieht noch nicht mal übel aus: ziemlich groß, kräftig, ohne plump zu sein, hellbraune Augen, schmaler, hübscher Mund. Einmal haben wir eine Klassen-Rangliste aufgestellt, so ein typischer Mädelsschwachsinn eben, und er ist bei zwölf Jungen auf einem glorreichen sechsten Platz gelandet. Natürlich hatte keine den Mumm zuzugeben, dass sie mit ihm was anfangen würde. Doch offenbar hat Zero das gar nicht nötig.
    Als ich nach der Pause wieder in die Klasse komme, muss ich am Jungs-Trio Martini-Giacchetta-Luciani vorbei, den Schwachmaten vom Dienst, wie die Hyänen von Scar in König der Löwen , sie kichern herum und sind nicht zu überhören. Stumpfsinnig wiederholen sie zwei Namen, Zero und Zeta – das binich – und müssen darüber dermaßen lachen, dass sie mir leidtun. Mir gefällt mein Spitzname. Zeta, wie Catherine Zeta-Jones oder wie der griechische Buchstabe? Ist auch egal, bei dem Braindrain in dieser Klasse hätte es schlimmer kommen können. Nach ein paar Minuten höre ich sie gar nicht mehr. Ich versinke in der schützenden Stille von Zerolandia.
    Zero und Zeta, das superkrasse Pärchen: der unsichtbare Junge und das Schattenmädchen, zwei echte Stimmungskanonen, so viel steht fest.

Unsichtbar
    Das Grab meiner Mutter liegt neben dem einer jungen Frau namens Maria, die 1950 mit 28 Jahren gestorben ist. Auf dem Foto lächelt sie, den Kopf leicht nach links geneigt, die Finger sanft an die Wange gelegt. Bestimmt hat der Fotograf ihr die Pose vorgegeben. Wer weiß, vielleicht war das Bild für einen fernen Verlobten bestimmt.
    Ich habe nie frische Blumen auf ihrem Grab gesehen, nur stets dieselben alten Plastikblumen, den Unbilden des Wetters ausgesetzt und inzwischen von einem undefinierbaren Staubgrau, Stengel inklusive. Also kaufe ich immer ein paar Blumen für sie mit. Vielleicht sind Marias Angehörige allesamt gestorben oder leben weit weg. Wie dem auch sei, inzwischen gehört sie fast ein bisschen zur Familie.
    Über ihren Gräbern erhebt sich eine riesige Zypresse und breitet ihre dunkelgrünen Äste aus. Sie ist wunderschön und wunderbar feierlich. Doch das Schönste ist, dass Maria an Mamas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher