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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Autoren: Aufbau
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Wirkung zeigt, denn ohne ein Wort zu sagen, steigt er bedächtig von seinem Roller, klappt den Ständer herunter und hockt sich neben mein Hinterrad. »Hast du Spray?«, fragt er, ohne aufzusehen. Ja, aber ich weiß nicht, wie man es benutzt. Ich klappe den Sattel hoch und halte es ihm hin, den Rest erledigt er. Zehn Minuten später ist mein Reifen fast wie neu. Die Erleichterung spritzt mir aus allen Poren. Ich bedanke mich tausendmal. Achselzuckend fragt er mich nach einem Taschentuch. Beim Wühlen nach dem Kleenex-Päckchen stoße ich auf die Zigaretten. Ich biete ihm eine an, doch er schüttelt den Kopf und greift nach den Taschentüchern. Während er sich sorgsam die Hände abwischt, wirft er mir ein paar flüchtige Blicke zu. Das ist nicht die übliche Gleichgültigkeit aus der Schule, er scheint tatsächlich ein bisschen befangen zu sein.Ich sehe zum Park hinüber. »Um diese Zeit sollte man hier besser nicht unterwegs sein«, sagt er plötzlich ernst und wirft das Taschentuch in den Straßengraben. »Ich war ja auch grad auf dem Weg nach Hause, aber dann …« Ich tippe mit dem Fuß gegen den Reifen. Einen Moment lang starren wir beide verlegen auf meinen Roller, als könnte er sich ebenfalls dazu äußern, dann sehen wir uns wieder an. Jetzt, wo uns nicht die ganze Klasse im Nacken sitzt, ist es anders. »Na dann«, sage ich, »danke für die Hilfe, echt.« Ich lächele zaghaft. »Kein Problem«, sagt er und geht rückwärts zu seinem Roller, und zum ersten Mal lächelt er auch. Kein breites Lächeln, das über das ganze Gesicht geht, sondern ein nettes, kleines, verständnisvolles, das mich wärmt. »Danke noch mal«, wiederhole ich, »wir sehen uns morgen in der Schule.« – »Okay«, sagt er, dreht sich um und steigt auf. Er lässt mich losfahren und bleibt hinter mir, bis wir in der Stadt sind. An einem Kreisverkehr hupt er mir zweimal zu. Als ich in den Rückspiegel schaue, sehe ich, wie er grüßend die Hand hebt und wieder kehrtmacht.
    Den ganzen Abend denke ich an ihn, als wäre er der Mann meiner Träume, der heute zum ersten Mal mit mir geredet hat. Auch als Angela und Claudia anrufen, um zu hören, wie es mir geht, bin ich mit den Gedanken woanders und antworte einsilbig und zerstreut. Ich fühle mich albern und euphorisch zugleich. Gefällt er mir, oder gefällt mir nur, dass er nett zu mir war? In Zerolandia wirbeln die Trommeln: Das heilige Gesetz des Schweigens ist gebrochen.

Gabriele hätte dir gefallen
    Ganz bestimmt. Seine Mutter hast du mal bei der Elternsprechstunde gesehen, sie hat uns gefragt, wo der Kunstlehrer sei, weißt du noch? Ja, er hätte dir gefallen. Du standest auf solche Typen, die sich einen Scheiß um die anderen scheren und ständig Gegenwind kriegen, aber unversehens einen Bleistift aus ihrer Billigjacke ziehen und dir die Welt aufs Papier zaubern. Du hättest ihm gesagt, dass du den Winter magst, und dir die Stadt an diesen ganz besonderen kalten Abenden zeichnen lassen, wenn sich die Lichter auf dem regennassen Asphalt spiegeln. Dir hätte er es nicht abgeschlagen, du wusstest, wie man jemanden rumkriegt. Ich bin sicher, du hättest dir die Stadt gewünscht, ganz allein für dich, auf einem Blatt Papier, und dann hättest du ihm gesagt, wie begabt er ist, mit vor Bewunderung glänzenden Augen. Von Herzen. Ich mag den Ausdruck nicht, aber bei allem, was dich betrifft, finde ich keinen besseren.
    Solche Dinge waren genau nach deinem Geschmack: Menschen mit Ecken und Kanten, Überraschendes, Kurioses. Du kanntest keine Berührungsängste und bei einem wie ihm hättest du keine Zeit verloren. Du hättest ihn charmant mit Fragen überhäuft, ohne Skepsis und alberne Vorurteile. Vielleicht hättest du ihn gleich ins Kino oder auf einen Ausflug eingeladen. Wie damals, als ich dir von einem Jungen erzählte, der mir gefiel, und du ganz selbstverständlich meintest, ich solle ihn zum Mittagessen einladen. So einfach gehe das nicht, hatteich dich angezischt, es gebe da gewisse Umgangsformen – ich, die große Expertin –, so wie du mache man das nicht. Manchmal konntest du dich so sehr für etwas oder jemanden begeistern und hattest eine derart unverblümte Art, es zu zeigen, dass ich mich für dich geschämt habe, vor allem, wenn meine Freundinnen zu Besuch waren. Ich wollte eine ganz normale Mutter haben, die sich raushält, doch stattdessen schienst du alles dranzusetzen, mir das Gegenteil zu beweisen und zu zeigen, wie anders du warst. In solchen Momenten hasste ich dich
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