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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Autoren: Aufbau
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ohne noch einmal aufzutauchen.

20. Oktober
    Mein Platzwechsel liegt jetzt fast einen Monat zurück, und von Zero kein Lebenszeichen. Ihm wäre es auch egal, wenn ich mich auf seinen Schoß setzte.
    Rund eine Viertelstunde nach mir trudelt er in der Schule ein, knallt seinen Eastpack-Rucksack, der schon bessere Zeiten gesehen hat, auf den Boden, verschränkt, ohne sich die Jacke auszuziehen, die Arme auf dem Tisch und legt den Kopf darauf. Ich sehe nur seinen von dichtem, braunem Haar bedeckten Nacken und rieche den Geruch nach Kälte, der seiner Jacke entströmt, die, wie die Obergiftspritzen der Klasse immer wieder gern betonen, seine Mutter ihm für fünfzehn Euro beim Asia-Shop gekauft hat, ein Fake – die echte trägt nur, wer sie geklaut hat oder sie sich leisten kann. Ich habe eine. Ein Geschenk meiner Mutter. Als sie sie mir gab, bin ich ihr vor Freude um den Hals gefallen und sie hatte lächelnd den Kopf geschüttelt, als wäre ich verrückt geworden, und gesagt: Die muss aber eine ganze Weile halten. Jetzt weiß ich, dass sie mein ganzes Leben lang halten muss.
    Mathe, Italienisch und Geschichte. Als es zur Pause läutet, bin ich so müde, dass ich am liebsten nach Hause gehen würde. Ich will gerade aufstehen, als Gabriele sich plötzlich zu mir umdreht und mich nach einer Zigarette fragt. Ich bin kurz davor, ihn das noch einmal sagen zu lassen, um sicherzugehen, dass ich es mir nicht nur eingebildet habe. Ich rauche sehr wenig wegen der Schwimmerei, aber Zigaretten habe ich immer, weiles mich nervt, danach zu fragen. Hoffentlich sieht er mir nicht an, wie baff ich bin. Ich bücke mich nach meinem Rucksack, hole das Päckchen raus und halte es ihm gespielt gleichgültig hin. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass alle uns anglotzen. Als er mir das Päckchen wiedergibt, stopfe ich es in den Rucksack und gehe hinaus. Kaum bin ich auf dem Flur, versuche ich, in der Menge zu verschwinden. Hat er danke gesagt? Ich weiß es nicht, vielleicht, mit einem kleinen Nicken. Und selbst wenn, er hat mich nicht einmal angesehen. Wo geht der rauchen? Auf dem Klo? Im Hof? Keine Ahnung. Zero.
    Ich schlendere zu meinem üblichen Fenster und fange an, nicht nachzudenken. Ich starre auf immer denselben Baum, folge den Linien der Äste, betrachte die letzten gelben Blätter: meine Zen-Pause.

25. Oktober
    Gabriele Righi alias Zero. Es scheint ihm wirklich scheißegal zu sein, wie wir ihn nennen und was wir über ihn denken. Seit ich mich auf null gestellt habe, finde ich auch, dass es allein im Abseits gar nicht so schlecht ist, und habe nicht mehr das geringste Bedürfnis, über Klamotten, Jungs oder sonstigen Schwachsinn zu reden. Sonia lässt nicht locker und versucht noch immer, mich von meiner einsamen Insel wegzulotsen, sie hat einfach noch nicht begriffen, dass sie mich damit immer weiter in die Flucht schlägt. Doch zu meinem Leidwesen hat sie offenbar beschlossen, dass ich ihre beste Freundin und, seit ich sie meide, auch ihre Mission bin; mit dieser Jeanne d’Arc werde ich es nicht gerade leicht haben. Sie redet mit sämtlichen Mädels über mich, schreibt mir E-Mails und dämliche SMS , lässt mich von wildfremden Leuten zu Partys einladen, auf die ich nie gehen würde. Mir fällt beim besten Willen kein Grund ein, weshalb ich mich vorher mit ihr abgegeben habe. Ich ertrage sie nicht mehr, dabei habe ich ihr stundenlang zugehört, wenn sie von süßen Jungs, ihren Tanzstunden, den Problemen mit ihrer superblonden, superschlanken, superneurotischen Mutter und ihrem supertollen, superwortkargen, superschlauen Vater geredet hat. War das geheuchelt? Nein, ja, vielleicht, ich weiß es nicht mehr.
    Jetzt bin ich in Zerolandia. Neues Land, neue Leute, zwei, um genau zu sein, ich und Gabriele Righi, der einzige Original-Zero, alleiniger Herrscher über ein leeres Königreich,unfreiwilliger Hofnarr einer Klasse, die keine Gelegenheit auslässt, sich auf seine Kosten auf die Schenkel zu klopfen. Und er macht mit, hat uns nie enttäuscht. Wenn er von den Lehrern aufgerufen wird, drehen sich alle in Erwartung der unvermeidlichen Show zu ihm um. Wenn er Lust hat, steht er auf, sieht aus dem Fenster und sagt sein übliches »Ich habe nicht gelernt«, oder, noch besser, er kriegt den Hintern nur halb hoch, lässt mit aufgestützten Ellenbogen sein Sprüchlein los und lässt sich wieder auf den Stuhl fallen. Die Lehrer glotzen ihn an, und er starrt zurück. Sie schütteln den Kopf, er zuckt die Achseln. Wundersamerweise
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