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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Autoren: Aufbau
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endlos lange Minuten so stehen und versuche dabei an nichts zu denken. So könnte ich bis zum Ende des Schuljahres stehen bleiben und dann Ciao, ihr Lieben. Ilaria, Barbara, Sonia. Ich will niemanden mehr sehen. Niemanden. Ich will, dass alles anders ist, auch wenn ich nicht weiß, wie. Wer sagt, das Leben geht weiter, ist ein Idiot. Nein, das Leben bleibt stehen. Die Zeit geht weiter, aber das Leben kommt immer wieder zum Stillstand und wird zu etwas völlig Fremdem. Das auf der Stelle Stehen und Warten ist das Schwierigste daran. Heute habe ich beschlossen, mich in die hinterste Bank zu setzen und zu warten. Ich leiste Widerstand, ich will nicht, dass mein Leben irgendwie ohne dich weitergeht.
    Als ich nach dem Klingeln zurück in die Klasse komme, hat jemand meine Schultasche auf meinen alten Platz neben Sonia gestellt. Mit Wucht knalle ich sie zurück auf Zeros Tisch. Wieder starren alle mich an, doch Zero sieht kaum zu mir auf und bückt sich nur, um einen Stift aufzuheben, der durch die Erschütterung hinuntergefallen ist. »Na kommt, Mädels, lassen wir sie in Ruhe«, flüstert Ilaria. Genau, kümmert euch um euren Kram. Als die letzte Stunde um ist, raffe ich hastig meine Sachen zusammen und mache mich grußlos aus dem Staub. Auf dem Weg an meinem alten Platz vorbei werfe ich Sonia einen flüchtigen Blick zu, und sie grüßt mich wie immer, wie man es mit Verrückten eben macht, als wäre es ein ganz normaler Morgen gewesen und dies nur ein momentaner Aussetzer,an den wir uns irgendwann tränenselig Arm in Arm auf der Bettkante ihres weißen Ikea-Jugendzimmers zurückerinnern würden.
    Bye-bye, my friend.
    Am Nachmittag gehe ich ins Schwimmbad, und im Wasser schaffe ich es endlich, mich zu entspannen. Einzig in dieser flüssigen blauen Masse gelingt es mir, an nichts mehr zu denken und die anderen Schwimmer neben mir zu vergessen.
    Ich liebe das Wasser. Der Funke sprang über, als ich zwölf war, und das ist meiner Mutter zu verdanken. Damals hatte ich eine Freundin namens Cecilia, ein zierliches, ruhiges Mädchen, mit dem ich mich sehr gut verstand. Eines Tages, als ich zu ihr ging, um mit ihr Hausaufgaben zu machen, war gerade eine Freundin aus ihrem Tanzkurs dort. Sie redeten über die Tanzaufführung, und auf dem Bett lag ein rosa Tüllröckchen, das ihre Mutter extra für sie genäht hatte. Begeistert stürzte ich mich darauf, betrachtete es hingerissen und fragte, ob ich es anprobieren dürfe, ohne ihren alarmierten Blick und das boshafte kleine Lächeln ihrer Freundin zu bemerken. Mit einem verlegenen Lachen nahm sie mir den Rock aus der Hand und sagte, ich würde ihn nur ausleiern. Ich schämte mich furchtbar, vor allem, weil die Freundin mich anglotzte, als wäre ich ein Walross. Ich hatte Cecilia und mich nie als dünn und dick gesehen, wir waren Freundinnen, was zählte es da, wie wir aussahen? Was hatten unsere Körper damit zu tun?
    Als ich nach Hause kam, brach ich noch in der Haustür in Tränen aus. Meine Mutter konnte mich nicht trösten. Von dem Tag an war ich offiziell dick, obgleich ich wegen des Alters und der Hormone allenfalls ein wenig pummelig war. Selbst meineZöpfe, die ich mir jeden Morgen mit Hingabe flocht, um ordentlich auszusehen, kamen mir plötzlich fett vor.
    Als meine Mutter mir das Schwimmen vorschlug, grauste mir bei der Vorstellung, mich der Welt im Badeanzug zu zeigen, doch schließlich willigte ich beklommen ein. Außer Kugelstoßen wollte mir kein passender Sport für mich einfallen. Ich weiß nicht, was das Wasser mit mir anstellte, doch es funktionierte. Ich begriff sofort, dass mit Badekappe und Schwimmbrille jeder hässlich ist und dass – viel wichtiger noch – das Wasser meinen Körper aufnahm und seine Widerstandskraft auf die Probe stellte, ohne ihn zurückzuweisen. Man musste sich, statt auf die Form, auf die Bewegung konzentrieren, und schon fühlte man sich zu Hause. Das Wasser liebte mich, und ich erwiderte diese Liebe. Mir gefielen die Schwimmer, die stetig und bedächtig eine Bahn nach der anderen zogen, als wären sie in der Karibik und täten die schönste Sache der Welt. So wollte ich mich auch fühlen. Selbstvergessen in einer einzigen, endlosen Bewegung.
    Wie jedes Mal gleite ich, ohne anzuhalten, durch das Wasser, konzentriere mich auf den Atem, auf die bläulichen Bläschen, die sich bei jedem Schwimmstoß bilden. Ich stelle mir vor, die Schwimmbeckenwände würden plötzlich verschwinden: Endlich kann ich unter Wasser atmen und schwimme davon,
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