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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon
Autoren: Charlotte MacLeod
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verwöhntes großes Kind zu gebärden. Ihre Rolle als
Pensionswirtin war offenbar wesentlich vielschichtiger, als Sarah es sich
vorgestellt hatte.
    Glücklicherweise kam ihr die Erfahrung
zugute, die sie bei zahlreichen heiklen Familientreffen gesammelt hatte. Sie
beschwichtigte den alten Herrn, indem sie ihm Gelegenheit gab, sie mit einer
gehässigen Tirade gegen die Metropolitan Boston Transit Authority, die hiesigen
Verkehrsbetriebe, zu Tode zu langweilen. Offenbar war er ein häufiger Fahrgast,
wenn auch nur, so schien es, aus dem alleinigen Grund, eventuelle
Schwachstellen festzustellen. Die Geschichte, daß er eine halbe Stunde lang in
einem Straßenbahnwagen vor der Kenmore-Station eingeschlossen gewesen war, und
das am ersten heißen Sommertag, noch dazu ohne Klimaanlage, während die
Straßenbahnheizung auf Hochtouren lief, hätte wohl einen stärkeren Eindruck
hinterlassen, wenn er sie acht Monate früher losgeworden wäre. Dennoch ertrug
Sarah mit einem Gesichtsausdruck höchster Aufmerksamkeit, einem gelegentlichen
Kopfschütteln und einigen gemurmelten Einwürfen, die Mr. Quiffen nach Belieben
interpretieren konnte, geduldig sein Gejammere und Geknurre.
    In Wirklichkeit hatte sie die meiste
Zeit keinen blassen Schimmer, worüber er überhaupt redete. Ihre Gedanken
kreisten vielmehr darum, ob das Bœuf Stroganoff wohl reichen würde, bis jeder
eine hinlängliche Portion davon genommen hatte. Sie hatte bisher nicht gewußt,
daß Aeronautikprofessoren derart zulangen konnten. Dank der unermüdlichen
Beinarbeit von Charles konnte das Unheil gerade noch abgewendet werden. Als
Professor Ormsby bei seiner zweiten Portion bedeutend mehr Nudeln und recht
wenig Rindfleisch erhielt, schien er es nicht zu bemerken, sondern schaufelte
die letzte Gabelladung mit dem gleichen gesegneten Appetit in sich hinein wie
die erste.
    Zum Nachtisch gab es hausgemachten
Apfelkuchen. »Die Äpfel stammen von unseren Bäumen in Ireson’s Landing«,
erklärte Sarah der Gesellschaft, woraufhin wie erwartet ein bewunderndes
Gemurmel ertönte. Was die Pensionsgäste allerdings kaum ahnen konnten, war, daß
sie vor Ende des Winters noch mehr als genug von diesen Äpfeln verspeisen
würden. Sobald sie klar genug hatte denken können, um für die Eröffnung der
Pension die nötigen Vorbereitungen zu treffen, hatten Sarah und Mr. Lomax
nämlich sämtliche Äpfel aufgesammelt, die noch zu verwerten gewesen waren.
    Als sie fertig gegessen hatten, führte
Mr. Porter-Smith wie ein echter Gentleman alter Schule die Serviette an seine
Lippen und sagte haargenau das, was Sarah auch von ihm erwartet hatte:
»Kompliment an den Koch.«
    Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken,
erwiderte Charles: »Vielen Dank, Sir. Ich werde es dem Küchenpersonal ausrichten.«
    Sie begaben sich zuerst in die
Bibliothek, um dort ihren Kaffee einzunehmen, und zogen sich dann wieder auf
ihre Zimmer zurück, und Sarah ging nach oben, um ihr Kleid auszuziehen und dann
zusammenzubrechen. Die erste große Hürde war überwunden.
    Den Rest der Woche war Sarah genauso
beschäftigt, wie sie es vor der Eröffnung der Pension gewesen war. Jetzt mußte
sie die individuellen Bedürfnisse und Marotten ihrer Pensionsgäste
herausfinden, die Speisekammer auffüllen, darüber nachdenken, wie sie Professor
Ormsby satt bekommen sollte, und es fertigbringen, noch dazu einen Gewinn in
der Haushaltskasse zu verbuchen. Da es ihm offenbar völlig gleichgültig zu sein
schien, was er zu sich nahm, solange nur die Portionen möglichst groß ausfielen,
war das nicht weiter schwierig.
    Was die anderen Gäste betraf, so neigte
Jennifer LaValliere dazu, wie ein Vögelchen zu essen, und Mrs. Sorpende sagte
immer, eigentlich dürfe sie ja nicht, aß dann aber trotzdem. Mr. Porter-Smith
war von Charles ausgezeichneten Manieren und dem Kellingschen Silberbesteck und
Porzellan derart hingerissen, daß er zweifellos auch ein Scheibchen von einem
alten Stiefel mit Genuß verspeisen würde, wenn man es ihm nur elegant genug
servierte. Mr. Quiffen stopfte sich voll, stierte in die Runde, um
festzustellen, ob auch kein anderer eine bessere Portion als er selbst erwischt
hatte, fing mit jedem, der sich provozieren ließ, Streit an und machte sich bei
jeder Gelegenheit höchst unbeliebt.
    Es war ein großer Fehler gewesen, sich
von den Protheroes dazu überreden zu lassen, Georges alten Freund als
Pensionsgast aufzunehmen. Noch schlimmer war, daß es nicht nötig gewesen wäre.
Lediglich einen Tag, nachdem
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